Schneller reagieren – besser regeln
Investieren, ja. Aber wie? Landläufig gelten Regelwerke oft als Hemmschuh des Fortschritts. Das stimmt nicht. Sind sie gut ausgearbeitet, schaffen sie Transparenz, vereinfachen Verwaltungsmaßnahmen und beschleunigen Prozesse.
Ein strategischer Hebel, um Deutschland auch in Zukunft wettbewerbsfähig zu machen, ist die Digitalisierung der Qualitätsinfrastruktur (QI-Digital). Die Gemeinschafts-Initiative hat das Ziel, Prüf- und Dokumentationsverfahren im Rahmen der Qualitätssicherung digital zu verzahnen und zu automatisieren. Dabei geht es nicht nur darum, Bürokratie zu vermeiden, sondern, Verwaltungsakte zu vereinfachen und zu automatisieren. Als Ergebnis steht ein Wettbewerbsvorteil. Denn QI-Digital ist eine moderne Antwort auf gegenwärtige Herausforderungen. Als Betriebssystem einer modernen Wirtschaft schafft QI-Digital die Voraussetzung regulatorische Anforderungen maschinenlesbar und Produktdaten transparent verfügbar zu machen sowie Prüfprozesse automatisieren zu können. Die Ergebnisse sind hocheffiziente und interoperable Prozesse.
QI-Digital – Digitale Qualitätsinfrastruktur
QI-Digital ist eine gemeinsame Initiative der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM), der Deutschen Akkreditierungsstelle (DAkkS), des Deutschen Instituts für Normung (DIN), der Deutschen Kommission für Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik (DKE) und der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) – gefördert vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWE).
Die Akteure treiben die Weiterentwicklung der Qualitätsinfrastruktur (QI) in einer digitalisierten Welt aktiv voran.
Gemeinsam Lösungen schaffen
Um die Entwicklung von Standards voranzubringen, haben DIN und die Deutsche Kommission Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik (DKE) bereits 2020 die Initiative Digitale Standards (IDiS) gegründet. IDiS fungiert dabei als Bindeglied zwischen Normenerstellung und digitaler Normanwendung. Die Initiative hilft, sogenannte SMART Standards zu entwickeln – also digitale, maschinenlesbare Normen. Ziel ist es, der Industrie Normen so bereitzustellen, dass sie im Idealfall automatisch in digitale Systeme, Konzepte und Formate einfließen können. Das bedeutet für Unternehmen einen deutlichen Zeitvorteil und geringere Kosten bei der Implementierung – also bessere Wettbewerbsbedingungen. Dadurch können etwa Produktdaten oder regulatorische Anforderungen direkt in Software übernommen werden. Der Effekt: weniger Interpretationsspielraum, mehr Automatisierung, erhöhte Anpassungsfähigkeit.
Es ist Zeit für smarte Standards
SMART Standards sind der Schlüssel, um Normungswissen digital anwendbar zu machen. Damit unsere Industrie wettbewerbsfähig bleibt, müssen auch Normen und Standards selbst digital gedacht und Teil einer vernetzten Datenökonomie sein. Dann können sie künftig von Maschinen oder Engineeringsystemen wie CAD-Software automatisiert eingelesen, ausgewertet und angewendet werden. Wie das aussehen kann, hat die Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB) mit der Entwicklung digitaler Zertifikate gezeigt: Zusammen mit internationalen Partnern hat die Bundesanstalt Datenstrukturen geschaffen, mit denen Ergebnisberichte maschinenlesbar werden. Damit die Formate weltweit anerkannt und anwendbarer werden, hat die PTB sie in den Normungsprozess von nationalen und internationalen Organisationen wie DIN und ISO eingebracht und unterstützt zudem bei der praktischen Nutzung.
Bei IDiS arbeitet eine Vielzahl an Unternehmen wie Automobilzulieferer Schaeffler oder Audi aktiv mit. Sie alle wissen, dass – je schneller sich Technologien weiterentwickeln – sich auch die Normungsarbeit beschleunigen muss. So gestaltet der Autohersteller einerseits die Normen von morgen mit und kann diese frühzeitig in die eigenen Prozesse integrieren – beispielsweise bei der Gestaltung von unternehmenseigenen Werknormen.
Die Fraunhofer-Gesellschaft wiederum treibt die Normung in technologischen Pionierfeldern wie Quantentechnologie, dem digitalen Produktpass oder Kernfusion gezielt mit voran – oft noch bevor Märkte überhaupt existieren. Damit schafft Fraunhofer nicht nur Normen, sondern auch die Grundlagen für zukünftige Wirtschaftszweige, welche die Technologie in die Gesellschaft tragen werden. Unterstützt wird dies auch durch Initiativen wie SMART Standards: Indem Normung zunehmend digital und verwertungsorientiert gedacht wird, wird sie zum strategischen Hebel für den Technologietransfer und neue Geschäftsmodelle.
„Unsere Mobilität wandelt sich schnell.“
JOHANNES URBAN, NORMREFERENT BEI DER AUDI AG
Immer kompatibel
Automobilhersteller stehen im intensiven globalen Wettbewerb – Innovationskraft ist dabei ein entscheidender Erfolgsfaktor. Gleichzeitig müssen Produkte sicher, nachhaltig und in zunehmendem Maße mit anderen Systemen kompatibel sein. Einheitliche Normen und Standards sind dabei unverzichtbar, gerade in einer Branche, die sich mit Software-Defined Vehicles und automatisiertem Fahren kollektiv rasant weiterentwickelt. Denn internationale Standards sind die Grundlage für den sicheren Einsatz dieser neuen Technologien inklusive einer verlässlichen Kommunikation zwischen Ladesäule und Fahrzeug, Sensor und Umwelt, Projektpartnern und Sektoren.
Auch Audi beteiligt sich deshalb aktiv am Normungsprozess. Seine Expertinnen und Experten tauschen sich dabei mit Vertreterinnen und Vertretern anderer Branchen aus und gestalten Normen aktiv mit – wie die DIN EN ISO 15118. Diese legt fest, wie die digitale Kommunikation zwischen Elektroauto und Ladesäule abläuft. Die Norm legt somit die Grundlage für Plug & Charge (P&C), das wiederum einen automatisierten Bezahlvorgang ermöglicht: Nach einmaliger Registrierung und Autorisierung des Bezahlvorgangs erkennen die Ladesäulen künftig das E-Fahrzeug selbstständig. P&C ist bei Herstellern wie Audi bereits für bestimmte Modelle im Einsatz. Die DIN EN ISO 15118 ist zudem die Basis für das bidirektionale Laden – also den wechselseitigen Energieaustausch –, weil sie die Kommunikation zwischen Fahrzeug und Stromnetz standardisiert. So können die Fahrzeuge Energie nicht nur aufnehmen, sondern auch ins Netz zurückspeisen. Dadurch lassen sich künftig Lastspitzen abfangen sowie Energieüberschüsse speichern und damit die Netzstabilität verbessern.
Auch an der Weiterentwicklung der ISO 26262 zur funktionalen Sicherheit elektronischer Fahrzeugsysteme arbeitet Audi mit. Denn nur mit klaren Regeln lassen sich Risiken bei Antrieb, Airbag, Lenkung oder Batterie vorausschauend beherrschen – und technologische Stärke in nachhaltige Wettbewerbsfähigkeit übersetzen. „Unsere Mobilität wandelt sich schnell. Automatisiertes Fahren und Software-Defined Vehicles verbinden Ökosysteme und Technologien. Normen und Standards sichern Kompatibilität, Sicherheit und Nachhaltigkeit, fördern Vertrauen und damit die Wettbewerbsfähigkeit von Audi“, sagt Johannes Urban, Normreferent bei der AUDI AG.
Künstliche Intelligenz braucht Normen
Auch für das TÜV AI.Lab steht die Sicherheit im Zentrum – speziell mit Blick auf Künstliche Intelligenz. Das Joint Venture mehrerer TÜV-Unternehmen entwickelt Prüfverfahren für Hochrisiko-KI-Anwendungen und bringt sich gezielt in die Normung ein. Denn Normen sind für das TÜV AI.Lab mehr als technische Regeln – sie sind das Bindeglied zwischen Gesetzgebung und gelebter Prüfpraxis. Das langfristige Ziel der Organisation ist es, Europa zum Hotspot für vertrauenswürdige KI zu machen. Im DIN-Gemeinschaftsausschuss Künstliche Intelligenz arbeitet das TÜV AI.Lab an zentralen Normen zur Umsetzung der europäischen KI-Verordnung mit, etwa zu Konformitätsanforderungen, Risikomanagement oder Fairness in Algorithmen. Dabei fließt die Prüfexpertise direkt in die Ausgestaltung ein.
So ist unter anderem die DIN SPEC 91512 zur Fairnessbewertung von KI-Anwendungen im Finanzsektor mit Beteiligung des TÜV AI.Labs entstanden. Ziel ist es, Standards zu schaffen, die Innovationen ermöglichen und Unternehmen zugleich regelkonform und zukunftsfähig machen – kurz: „AI-ready“. Auch die neue Norm ISO/IEC 42001 liefert hier Orientierung: Sie definiert, welche Prozesse, Dokumentationen und Verantwortlichkeiten nötig sind, um KI vertrauenswürdig zu betreiben. Für die TÜV-Unternehmen ergibt sich daraus ein echter Wettbewerbsvorteil: Aus Normen werden marktfähige Prüfdienstleistungen, die Kunden sicher durch komplexe Regulierungen führen.
„Normen und Standards sind entscheidend für ein internationales Level Playing Field. Idealerweise setzen sich europäische Normen durch und schaffen ein international hohes Niveau an KI-Sicherheit“, sagt Franziska Weindauer, Geschäftsführerin der TÜV AI.Lab GmbH. Mehr zum Thema internationale Wettbewerbsfähigkeit im fünften Teil der Titelstrecke.

