Regulierung, Richtlinien, Berichtspflichten – Unternehmen sehen darin große Hürden für ihre Wettbewerbsfähigkeit und beklagen überbordende Bürokratie und hohe regulatorische Anforderungen durch die Politik. Die Umsetzung von Regulierung muss effizienter werden – und damit einfacher, schneller und ressourcenschonender. Ein Schlüssel hierzu ist eine konsequent digitalisierte und automatisierte Qualitätsinfrastruktur, kurz QI-Digital – und die funktioniert nur mit digitalen Normen und Standards.
Höchste Konzentration! Das hauchdünne Papier von der Tube lösen, ohne es zu zerreißen, die gesuchte Landessprache finden und lesen, bei welcher Temperatur der Spezialkleber zu verarbeiten ist. Wegen der mikroskopisch kleinen Schrift gilt es dabei, die Augen zusammenzukneifen. Diese oder eine ähnliche Situation hat jede und jeder von uns bestimmt schon einmal erlebt. Produktinformationen bringen uns immer wieder an unsere Grenzen. Dabei könnte es so einfach sein: Einen QR-Code auf der Verpackung scannen und sämtliche Informationen stehen fein säuberlich gegliedert und gut leserlich in beliebig vielen Sprachen digital bereit.
Die nötigen Informationen hierzu speisen sich aus einem digitalen Datenraum. Ein Vorteil: Hersteller ersparen sich aufwendige, teure und zeitraubende Produktionsschritte wie Satz und Druck der verpflichtenden Produktinformationen. Ein weiterer und weitreichender Vorteil: Auf die Informationen greifen nicht nur Konsument*innen per QR-Code zu, der Datenraum könnte auch Drehscheibe für sämtliche Daten und Informationen sein, die Unternehmen benötigen, um produktrelevante Informationen mit Kundinnen und Kunden sowie Lieferantinnen und Lieferanten auszutauschen oder ihren Berichtspflichten nachzukommen. Und spätestens hier sind wir beim Thema Qualitätsinfrastruktur (QI) und Bürokratie.
Digital Konformität nachweisen: Kern von QI-Digital
Die QI setzt Rechts-, Regulierungs- und Aktionsrahmen zur Unterstützung und Verbesserung bei Qualität, Sicherheit und Umweltverträglichkeit von Waren, Dienstleistungen und Prozessen. Das betrifft nicht nur einzelne Unternehmen, sondern sämtliche Industriezweige und die Verwaltung. Sie dient dem öffentlichen Interesse, weil sie zum Wirtschaftswachstum, zum Schutz von Verbraucher*innen – Stichwort Beipackzettel –, zur Nachhaltigkeit und zur Exportfähigkeit der deutschen Wirtschaft beiträgt. Sie macht Deutschland international wettbewerbsfähig und sorgt für Sicherheit, Qualität und Vertrauen.
Die QI ist ein essenzieller Bestandteil unserer Wirtschaftskraft. Was wir bei aller Sinnhaftigkeit aber auch sehen müssen: QI ist einer der größten Hebel zur Reduzierung der Bürokratie. Wenn wir die QI konsequent digitalisieren und weitestgehend automatisieren, dann halten wir nicht nur unsere hohen Qualitätsstandards, wir machen Qualitätsnachweise effizienter und verringern dadurch ganz wesentlich den Verwaltungsaufwand in den Unternehmen – insbesondere im Austausch mit den zuständigen Behörden. Das hilft ganz entscheidend dabei, die Bürokratie zu reduzieren. Eine konsequente Digitalisierung heißt, die Dinge neu zu denken – weg von dokumentenbasierten hin zu datenbasierten Prozessen.
Maschinenlesbare Standards, digitale Prüf- berichte und automatisierte digitale Prozessabläufe sorgen für Effizienzsteigerungen und stärken die Innovationskraft unserer Wirtschaft. Erste Pilotprojekte versprechen hier ein enormes Einsparpotenzial. Unternehmen können durch digitalisierte Prozesse ihre Effizienz steigern, während Behörden ohne bürokratische Hürden schneller, einfacher, effektiver und zielgerichteter auf benötigte Daten zugreifen können.
QI-Digital und digitaler Produktpass Hand in Hand
Im Unternehmensalltag ändert sich die Art und Weise, wie wir Daten ablegen, wie wir mit Lieferantinnen und Lieferanten kommunizieren und Informationen austauschen. Jedes Produkt und Bauteil wird einen digitalen Produktpass haben, der über ein digitales Modell Informationen für die jeweils adressierte und autorisierte Zielgruppe verfügbar macht: Betriebsanleitungen, Herkunft des Eingangsmaterials, Lieferanteninformationen, Konformitätsnachweise, Serviceinformationen, all das fließt in den Datenraum und ist schnell digital verfügbar – für Unternehmen, Behörden und Verbraucher*innen. Dieser Schritt ist ein Muss, um das Potenzial der Digitalisierung wirklich heben zu können, und ein Gewinn für die Nachhaltigkeit entlang der gesamten Wertschöpfungskette.
Der digitale Produktpass ermöglicht den Zugang zu sämtlichen Informationen: Er kann zielgerichtet unzählige Adressaten bedienen und Stakeholder verknüpfen und wird so den zahl reichen Anforderungen gerecht. Das ist keine Zukunftsvision, sondern in greifbarer Nähe. Das Zauberwort dazu heißt: QI-Digital. Denn erst mit ihr wird die Frage nach Qualität, Konformität und Vertrauen digital über Datenräume abbildbar.
„Eine konsequente Digitalisierung heißt, Dinge neu zu denken – weg von dokumentenbasierten hin zu datenbasierten Prozessen. Das ist ein entscheidender Hebel zum Bürokratieabbau.“
CHRISTOPH WINTERHALTER, DIN-VORSTANDSVORSITZENDER
Ein weiterer Aspekt, der häufig übersehen wird, ist der internationale Kontext. Deutschland und Europa stehen in einem globalen Wettbewerb. Länder, die auf digitale Strukturen setzen, profitieren von schnelleren Prozessen und höherer Effizienz. Ohne den Mut zur Digitalisierung riskieren Deutschland und Europa, im weltweiten Vergleich zurückzufallen. Eine digitalisierte Qualitätsinfrastruktur bietet die Chance, als Vorreiter zu agieren und gleichzeitig andere Länder zur Zusammenarbeit zu motivieren.
Normung als Wegbereiter für eine nachhaltige und digitale Transformation
Und welche Rolle spielen Normen und Standards bei der Digitalisierung der QI?
Damit sie ihrer Aufgabe nachkommen können, für einheitliche Strukturen zu sorgen, müssen auch sie sich den digitalen Prozessen anpassen. Sprich, Normen und Standards müssen maschinenlesbar, -ausführbar und -interpretierbar sein. Das tun digitale Normen oder SMART Standards. Sie erleichtern und automatisieren die Arbeit mit Normen und öffnen so das Tor zu einer neuen Welt der Qualitätssicherung. DIN ist ein Akteur der Initiative QI-Digital. Gemeinsam mit unseren Partnerinstitutionen treiben wir die Entwicklungen in diesem Bereich voran, wir führen und moderieren den Austausch mit allen relevanten Akteuren aus Wirtschaft, Politik und öffentlicher Verwaltung und wir unterstützen beim Gestalten der nötigen Rahmenbedingungen.
Im Prozess bringen alle Akteure der QI dabei ihre Vision ein und erarbeiten Modelle, die möglichst breit und sektorübergreifend eingesetzt werden können. Normung ist hier das Instrument, mit dem alle Sichtweisen zusammengebracht und gemeinsam praxistaugliche Lösungen für die Zukunft erarbeitet werden.
Kurzum: Normen sind das Regelwerk, das die digitale Transformation verlässlich und vertrauenswürdig macht. Das gemeinsame Definieren von Standards macht digitale Prozesse erst möglich, deren Grundlagen Anschlussfähigkeit, Kompatibilität und Interoperabilität sind. Das ist heute und in der Welt von morgen entscheidend, um Technologien und Dienstleistungen wettbewerbsfähig im Markt zu implementieren. Und Normen haben letztlich auch einen großen Anteil daran, dass wir Produktinformationen künftig bequem über einen QR-Code einsehen können und uns nicht mehr mit kleinsten Beipackzetteln an der Verpackung herumärgern müssen.

Christoph Winterhalter
ist Vorstandsvorsitzender von DIN und Vice President Policy der internationalen Normungsorganisation ISO.