Klimaneutrale Mobilität – Ein Interview mit Dr. Marcus Bollig
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Herr Dr. Bollig, bis wann ist klimaneutrale Mobilität in Deutschland erreichbar?

Transformation zur klimaneutralen Mobilität entschlossen mit Innovationen und Investitionen voran: Allein bis 2026 investieren wir rund 220 Milliarden Euro in Forschung und Entwicklung, wir bauen bis 2030 für mehr als 100 Milliarden Euro unsere Werke um. Wir setzen alles daran, klimaneutrale Mobilität so schnell wie möglich zu realisieren. Leitmotiv ist dabei für uns auch, diese Transformation zu einer Erfolgsgeschichte zu machen, mit Vorteilen für Gesellschaft, Industrie – und vor allem für das Klima. Dann, und nur dann, wird unser Ansatz weltweit kopiert – und nur so kommen wir beim globalen Klimaschutz voran.

Wo steht Deutschland bzw. Europa im internationalen Vergleich in diesem Bereich?

Europa will der erste klimaneutrale Kontinent werden. Ein Ziel, das wir aus voller Überzeugung unterstützen und an dem wir bereits mit maximaler Kraftanstrengung arbeiten. Dabei gilt: Für die ambitioniertesten Klimaziele der Welt braucht es auch die weltweit besten Standortbedingungen – die Politik muss also entsprechend flankieren. Berlin und Brüssel sind allerdings weit entfernt von dem Engagement, das sie von der Wirtschaft einfordern.

Um Klimaneutralität zu ermöglichen und uns gleichzeitig resilienter und diversifizierter aufzustellen, braucht es jetzt deutlich mehr Tempo und Entschlossenheit bei Handelsabkommen, genauso bei Rohstoff- und Energiepartnerschaften. Die Märkte werden hier aktuell weitgehend ohne uns verteilt. Die Politik muss hier größer denken und schneller agieren, damit die Mission Klimaneutralität für alle zum Erfolg wird. Aktuell wird Zeit verspielt, die wir nicht haben. Das kostet uns Wettbewerbsfähigkeit – und letztlich somit auch Wohlstand.

Welche Technologien werden die Mobilität der Zukunft prägen? Gelten Wasserstoff und E-Fuels Ihrer Einschätzung nach als Alternativen zur elektro-basierten Mobilität?

Die batterieelektrische Mobilität steht derzeit im Fokus der technologischen Entwicklung. Die Industrie arbeitet mit Hochdruck an der Optimierung von Batteriesystemen als mobiler und stationärer Energiespeicher. Dazu gehören neben Sicherheitsaspekten u.a. auch die Auswahl und Kombination geeigneter Rohmaterialien für Zellen, Gewichtsreduzierung, Leistungssteigerung und Recyclingverfahren. Vor allem für den langstreckenbasierten Schwerverkehr und die nicht straßengebundene Mobilität ist Wasserstoff zweifellos eine Alternative – vor allem zur Nutzung für den Betrieb von Brennstoffzellen aber auch optional im Verbrennungsmotor. Für die Klimaneutralität des großen Bestands an bereits zugelassenen mit Verbrennungsmotor betriebenen Fahrzeugen (1,5 Mrd. weltweit) sind E-Fuels von zentraler Bedeutung. So kann auch der Bestand seinen Beitrag zur Senkung des CO2-Ausstoßes leisten.

Wo und wie können internationale Standards die Wertschöpfungsketten der Zukunft unterstützen?

Die Automobilindustrie ist weltweit vernetzt und auf nahezu allen Märkten präsent. Über Standardisierung werden die Anforderungen an Produkte, Systeme und Lösungen vereinheitlicht. Konsequenterweise benötigen wir internationale Standards, um den Aufwand bei der Entwicklung und Produktion für regionale Sonderlösungen zu minimieren. Darüber hinaus führt der internationale Ansatz zu einer schnellen und konsequenten Durchsetzung und Anwendung sicherer, umweltfreundlicher und effizienter Technologien. Die Herausforderung besteht dabei vor allem auch darin, die Standards technologieoffen zu gestalten, um weiterhin den Wettbewerb für noch bessere Lösungen zu befördern.

Wann und in welchen Bereichen werden sich Quantencomputer in der Automobilindustrie durchsetzen?

Die Quantencomputertechnologie befindet sich derzeit noch in der Forschungs- und Konzeptionsphase. Als künftige Anwendungsfelder gelten umfangreiche Simulationen, hochkomplexe Optimierungen oder Kryprographie. Daraus resultieren für die Automobilindustrie Potentiale, insbesondere beim hochautomatisierten und autonomen Fahren. Aufgrund des Entwicklungsfortschrittes werden Quantencomputer sicher mittelfristig nicht direkt im Fahrzeug realisiert werden. Eher vorstellbar ist die Nutzung bei der Fahrzeugentwicklung zur Simulation hochkomplexer Verkehrssituationen zur Absicherung automatisierter, sicherheitskritischer Fahrfunktionen. Darüber hinaus müssen die Potentiale der Quantencomputer berücksichtigt werden, um auch in Zukunft den Anforderungen an Cybersicherheit gerecht werden zu können.

Wann kommt der digitale Produktpass für Fahrzeuge? Wird er vor allem Batterien oder das gesamte Fahrzeug umfassen?

Die Industrie arbeitet mit hohem Engagement daran. Fakt ist: Der digitale Produktpass stellt eine große Herausforderung dar, vor allem, wenn er den gesamten Lebenszyklus einschließlich der genutzten Rohmaterialien umfassen soll. Konsequenter Weise muss die Entwicklung branchenübergreifendend erfolgen. Der Anspruch muss hier auf internationalen Lösungen liegen. Es macht daher sicher Sinn, schrittweise vorzugehen. Batterien sind komplexe Systeme und können unter bestimmten Randbedingungen nach der Nutzung im Fahrzeug in einem zweiten Lebenszyklus in anderen Anwendungen eingesetzt werden. Daher wird heute ein Batteriepass im Gesetzgebungsprozess bereits diskutiert.

Droht uns der gläserne Fahrer? Wie können sich Privatpersonen gegen Datenmissbrauch rund um ihre Mobilität schützen?

Der Schutz der Privatsphäre und die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben zur Datenverarbeitung und Datensicherheit sind Leitmotiv für jeden Entwickler in der Automobilindustrie. Deren Einhaltung steht außer Frage. Der Fahrer kann sich darauf verlassen, dass personenbezogene Daten nicht ohne Zustimmung gesammelt werden. Die Nutzung entsprechender Funktionen, die die Fahrzeuge anbieten, wird nur mit entsprechenden Freigaben angeboten. Mit dem von der Automobilindustrie vorgeschlagenen „ADAXO-Konzept (Automotive Data Access – Extended and Open)“ (siehe auch VDA-ADAXO-Konzept) wird ein fairer, offener und sicherer Zugang zur Nutzung der im Fahrzeugbetrieb anfallenden Daten angeboten. Das Konzept nutzt existierende ISO-Normen und ist einsatzbereit.

Dr. Marcus Bollig

ist Geschäftsführer Produkt und Wertschöpfung beim Verband der Automobilindustrie (VDA) e. V.

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