Videos und Bilder aus dem öffentlichen Raum sind hilfreich – etwa aus dem Zugabteil: Wird per Kamera erfasst, dass sehr viele Fahrgäste im Waggon sind, lassen sich weitere Reisende schon vor dem Einstieg zu noch freien Abteilen leiten. Auch für das Training von KI-Systemen, die solche Aufnahmen eigenständig auswerten, sind diese Daten elementar. Allerdings müssen aufgezeichnete Personen aus Datenschutzgründen anonymisiert werden. Das Start-up brighter AI hat eine Software entwickelt, die das dank KI realitätsgetreuer ermöglicht als herkömmliche Verfahren.
Die Anonymisierungssoftware des 2017 gegründeten Start-ups versieht Menschen auf Bildern und Videos per brighter AI mit künstlichen Gesichtern. Auch Nummernschilder von Fahrzeugen können automatisch ersetzt werden. „Aus einem Gesicht wird ein verfremdetes Gesicht, aus einem Nummernschild eines mit anderen Buchstaben- und Zahlenabfolgen“, erklärt Marian Gläser, CEO von brighter AI, das Verfahren. „Deep Natural Anonymization“ nennt das junge Berliner Unternehmen seine Lösung: Dabei werden die originalen Gesichtsdaten extrahiert und durch künstliche Bilddaten ersetzt. „Es geht darum, dass sich keine Rückschlüsse mehr auf die tatsächliche Person oder das reale Nummernschild ziehen lassen“, so Gläser. „Denn nur dann können Unternehmen Aufnahmen mit personenbezogenen Daten rechtssicher nutzen.“ Das ist nicht nur zur Fahrgastlenkung in Zügen hilfreich, sondern an vielen weiteren Stellen, wenn es darum geht, per maschinellem Lernen KI-Systeme zu trainieren: etwa, um Systeme zur Fahrbahn- und Straßenschilderkennung in Autos zu optimieren. Auch im Gesundheitsbereich wird die Lösung bei medizinischen Videos eingesetzt.
Realitätsnahe Anonymisierung mit brighter AI
Der Name des Start-ups ist Programm: „brighter AI“ bedeutet so viel wie „intelligentere, bessere Künstliche Intelligenz“. Und die Ergebnisse der Deep Natural Anonymization sind spannend: Wer das einmal testen will, kann auf der Website brighter.ai ein eigenes Bild hochladen. Der Ansatz von brighter AI bietet laut Marian Gläser klare Vorteile im Vergleich zu herkömmlichen Anonymisierungsmethoden, die Bereiche lediglich verpixeln oder unscharf machen: „Wir schützen Identitäten, zugleich bleiben die Aufnahmen wesentlich realitätsgetreuer. Solche Daten sind für Analysen und KI-Systeme viel wertvoller.“ Der Unterschied zwischen beiden Verfahren lässt sich am besten anhand eines Beispiels aus dem Straßenverkehr nachvollziehen. Wird das Gesicht einer Fußgängerin aufgenommen und per klassischer Anonymisierungssoftware verpixelt, gehen Informationen verloren – beispielsweise Alter und Geschlecht. Aber auch Blickrichtung, Mimik und Aufmerksamkeit für eine Situation. Doch genau diese Informationen können für die Analyse von Verkehrssituationen relevant sein.
Ich sehe, wohin du siehst
So muss ein autonomes Fahrzeug erkennen, ob es von der Fußgängerin wahrgenommen wurde oder ob diese mit dem Rücken zur Straße steht und ganz woanders hinsieht. Auch für Versicherungen sind diese Informationen mitunter wichtig, wenn nach einem Unfall Aufnahmen einer PKW-Dashcam ausgewertet werden. Weitere Anwendungen der Software im Automotive-Bereich sind denkbar: „Beim automatisierten Fahren kommt es grundsätzlich auf einen einfachen, rechtssicheren Datenaustausch an, zwischen Firmen in der Entwicklung, aber auch zwischen Fahrzeugen. Hierzu können wir mit unserer Lösung effizient beitragen“, ist sich Marian Gläser sicher.
Marian Gläser (CEO, links) und Patrick Kern (CTO, rechts) sind zwei der treibenden Kräfte hinter brighter AI.
Sichtbarer dank Normung
„Die per Deep Natural Anonymization bearbeiteten Aufnahmen lassen sich datenschutzgerecht, beispielsweise gemäß DSGVO, nutzen“, sagt Marian Gläser. Das ist auch einer der Anknüpfungspunkte zur Normung: „Normen und Standards geben uns Orientierung in Sachen Datenschutz, sie setzen dort den Rahmen, wo die gesetzliche Formulierung aufhört. Zudem muss DSGVO-Konformität auf Anwendungsebene erklärbar sein. Dabei helfen uns Normen, weil sie gesetzliche Regelungen in verständlichere Empfehlungen überführen. Diese Einheitlichkeit hilft auch in der Zusammenarbeit mit Partnern“, betont der CEO. „Außerdem machen Normen und Standards Anbieter weltweit vergleichbar. So kann es beispielsweise ein Wettbewerbsvorteil sein, nach einem weltweit anerkannten Standard wie der Reihe DIN EN ISO/IEC 27001 zertifiziert zu sein, wenn es die Konkurrenz nicht ist.“ Viele Gründe, weshalb er sich auch selbst in der Normung engagiert: Er hat in einer Arbeitsgruppe an der Deutschen Normungsroadmap Künstliche Intelligenz von DIN und DKE mitgewirkt und ist bei CEN aktiv, der europäischen Normungsorganisation. Die aktive Mitarbeit ist laut Gläser ein Kriterium für Investoren und Kunden – es fördere die Glaubwürdigkeit, wenn man Interesse daran zeige, die eigenen Rahmenbedingungen mitzugestalten.
Brighter AI ist außerdem Mitglied im KI-Bundesverband und im KI-Arbeitsausschuss bei DIN. „KI braucht Schnittstellen für verschiedene Systeme. In der Normung werden diese gemeinsam mit weiteren Stakeholdern definiert. Da wollen wir dabei sein. Außerdem bietet uns Normung die Chance, ein Bewusstsein für unsere Themen in der Politik zu schaffen. Das heißt, wir können uns in einem größeren Rahmen engagieren. Als Einzelkämpfer ist das oft schwieriger“, weiß Gläser.
Normen
Für brighter AI sind bestehende Normen im IT-Bereich sowie aus den Geschäftsfeldern des Start-ups relevant, etwa aus dem Automotive-Bereich. Beispielsweise DIN EN ISO/IEC 27001 „Informationssicherheit, Cybersicherheit und Datenschutz – Informationssicherheitsmanagementsysteme – Anforderungen“. Die Norm legt Anforderungen an die Einrichtung, Umsetzung, Aufrechterhaltung und fortlaufende Verbesserung solcher Systeme fest. Sie befasst sich zudem mit Informationssicherheitsrisiken.
Und ISO 26262 „Straßenfahrzeuge – Funktionale Sicherheit“, die sich mit sicherheitsrelevanten elektrischen/ elektronischen Systemen in Kraftfahrzeugen befasst. Funktionale Sicherheit soll dazu beitragen, dass niemand durch Fehlfunktionen des Fahrzeugs oder darin verbauter Systeme gefährdet wird. Zugleich sind für brighter AI neue oder sich ändernde KI-Normen wichtig, weil die eigene Technologie darauf beruht.
Ist er es oder ist er es nicht? Selbst mit Grimassen kann brighter AI umgehen und kann das Gesicht so anonymisieren, dass es nicht mehr zweifelsfrei einer Person zugeordnet werden kann. Wie man hier anhand des Vorher-nachher-Vergleiches sieht.
Ist er es oder ist er es nicht? Selbst mit Grimassen kann brighter AI umgehen und kann das Gesicht so anonymisieren, dass es nicht mehr zweifelsfrei einer Person zugeordnet werden kann. Wie man hier anhand des Vorher-nachher-Vergleiches sieht.
Ist er es oder ist er es nicht? Selbst mit Grimassen kann brighter AI umgehen und kann das Gesicht so anonymisieren, dass es nicht mehr zweifelsfrei einer Person zugeordnet werden kann. Wie man hier anhand des Vorher-nachher-Vergleiches sieht.
Zahlungskräftige Investoren für KI-Start-up
Deep Natural Anonymization überzeugt offensichtlich, denn zu den Kunden des Start-ups gehören bereits namhafte Konzerne und Kapitalgeber. Gute Aussichten also für brighter AI – und Ergebnis einer Umorientierung: Denn blickt man auf die Anfänge des Unternehmens zurück, lag der Fokus zunächst woanders. So starteten die Gründer als Spin-off eines Automobilzulieferers mit dem Ziel, digitale Rückspiegel zu entwickeln. Aus Nachtaufnahmen von Infrarotkameras wollten sie Tageslichtbilder für die Rückspiegel generieren. Doch es hat sich schnell gezeigt, dass der Schutz persönlicher Daten dem einen rechtlichen Riegel vorschob. Diese Hürde galt es zu nehmen – der Auftakt für den heutigen Schwerpunkt des Start-ups.
Innovation voraus
Innovation voraus Eines müssen Anwender*innen der Deep Natural Anonymization noch beachten: brighter AI konzentriert sich bislang auf das Anonymisieren von Gesichtern und Nummernschildern. Doch das Team um Marian Gläser arbeitet bereits an einer Lösung, die künftig auch Ganzkörper-Anonymisierungen möglich machen soll.
„Aus dem AI Act werden sich in den kommenden Jahren wieder viele internationale und nationale Normen, Standards und Umsetzungsempfehlungen ableiten lassen, die helfen, verschiedene KI-Systeme zu vergleichen und aufeinander abzustimmen.“
MARIAN GLÄSER, CEO, CO-FOUNDER BRIGHTER AI
Gar nicht anonym
Marian Gläser ist Mitgründer und CEO von brighter AI. Er hat einen Masterstudiengang in IT Management & Consulting an der Universität Hamburg absolviert. Danach war er unter anderem Softwareentwickler bei einem Start-up in San Francisco und IT-Projektmanager bei der Digitalagentur SinnerSchrader. Vor der Gründung von brighter AI war er Intrapreneur beim Automobilzulieferer Hella. Parallel zu seiner Tätigkeit als CEO engagiert sich Marian Gläser in der Normung, beim KI Bundesverband e. V. als Sprecher zum Thema Data Privacy sowie beim Bundesverband Deutsche Startups e. V. als Sprecher zu Künstlicher Intelligenz.