Grüner Strom im Doppelpack
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Lange herrschte ein Zielkonflikt. Entweder investierten die Landwirt*innen in Solarenergie oder sie pflanzten Getreide, Gemüse und Obst. Andreas Steinhüser vom Fraunhofer ISE: „Solange mit Strom mehr zu verdienen ist als mit Kartoffeln, machte oft die Photovoltaik das Rennen.“ Agri-Photovoltaik schafft die Symbiose von grünem Strom und Nahrungsmittelproduktion.

Andreas Steinhüser, stellvertretender Gruppenleiter beim Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme (ISE) in Freiburg, erklärt das Prinzip der Agri-Photovoltaik (APV): „Die Solarmodule werden so hoch platziert, dass Erntemaschinen problemlos drunter fahren können. Das ganze System ist konsequent darauf ausgelegt, dass die Pflanzen unten genug Licht zur Photosynthese bekommen.“ Wie das in der Praxis ausschaut, lässt sich auf der Domäne Heggelbach am Bodensee besichtigen. Auf dem strikt auf Nachhaltigkeit und Ressourceneffizienz ausgelegten Demeter-Hofgut wurde eine wissenschaftliche Pilotanlage installiert – begleitet von dem Fraunhofer ISE und der Universität Hohenheim.

Wissenschaftlicher Versuch

Die Versuchsfläche umfasst eine Grundfläche von 2,5 Hektar. Davon sind jedoch nur 2.500 m² mit der APV-Forschungsanlage überbaut, während die restliche Fläche als Referenzfläche zum Vergleich der Ackererträge im Versuchszeitraum dient. Die Solarmodule der Agri-Photovoltaik-Anlage sind etwa sechs Meter über der Ackerfläche installiert. Somit ergibt sich eine lichte Durchfahrtshöhe von fünf Metern, genug Raum für Erntemaschinen. Die installierte Leistung von 194,4 kWp kann jährlich 62 Vierpersonenhaushalte versorgen. Große Abstände zwischen den Modulreihen ermöglichen, dass die Nutzpflanzen darunter ausreichend photosynthetisch aktive Strahlung erhalten. Zudem wurden bifaziale, sprich beidseitig aktive, PV-Module verbaut, die auf beiden Seiten die Sonne einfangen.

Plus 60 Prozent mehr Effizienz

Andreas Steinhüser: „Agri-Photovoltaik steigert die Landnutzungseffizienz um mehr als 60 Prozent. Land ist eine immer knapper werdende Ressource – besonders landwirtschaftlich attraktive Flächen mit hoher Sonneneinstrahlung werden mitunter sowohl für die Nahrungsmittelproduktion als auch für Photovoltaik-Freiflächenanlagen nachgefragt. Agri-Photovoltaik löst diese Flächenkonkurrenz auf und: „Wir produzieren grüne Energie, ohne die Nachhaltigkeit des Mutterbodens zu beeinträchtigen.“ Er verweist zudem auf einen weiteren Effekt. Die PV-Module schützen vor Extremwetter. Vor Starkregen und Hagel beispielsweise. Steinhüser: „Das steigert die Resilienz der landwirtschaftlichen Nutzfläche.“ Dementsprechend wächst in Rheinland-Pfalz eine Obstbaumplantage unter dem Dach einer Agri-Photovoltaikanlage.

„Wir produzieren grüne Energie, ohne die Nachhaltigkeit des Mutterbodens zu beeinträchtigen.“

Auch international sorgen die vielversprechenden ersten wissenschaftlichen Erkenntnisse für Furore. So entsteht in Vietnam eine Anlage über einem Aufzuchtbecken für Shrimps. In Ghana und Mali sind Projekte sogar mit einem Dreifacheffekt in der Projektphase. Dort sammeln die PV-Module zudem Regenwasser – zur Bewässerung der Böden und zur Versorgung der Landbevölkerung.

Nahaufnahme der Versuchsanlage im Obstbau in Rheinland-Pfalz (lins).

Selbst große Erntemaschinen passen unter die Solarmodule der Pilotanlage in Heggelbach am Bodensee (rechts).

Standardisierung erschließt den Markt

Weil alle Betreibenden Planungssicherheit brauchen, engagiert sich Andreas Steinhüser bei DIN. Er initiierte die Ausarbeitung der DIN SPEC 91434, die ein Prüfverfahren für Agri-PV-Anlagen ermöglicht. „Mit dem Standard senken wir das technische Risiko für alle Projektbeteiligten, insbesondere für die Landwirt*innen als Nutzende der Flächen unter der Anlage sowie für die Betreiber*innen und Genehmigungsbehörden“, sagt Andreas Steinhüser. Er leitete das Konsortium, das die Spezifikation erarbeitet hat. Er erläutert: „Die DIN SPEC 91434 legt Kriterien und Anforderungen an die landwirtschaftliche Hauptnutzung fest. Sie beschreibt, welche Punkte ein erforderliches Konzept zur landwirtschaftlichen Nutzung enthalten muss – von der Art der Aufständerung der Anlage bis zur Wirtschaftlichkeitskalkulation.“ Praktisch für den Anwendenden: Eine Formularvorlage für das landwirtschaftliche Nutzungskonzept wird mitgeliefert. Ein weiteres Kapitel legt planerische und technische Anforderungen an Agri-PV-Anlagen fest und liefert so nützliche Hinweise, worauf bei der Anlagenkonzeption, bei Installation, Betrieb und Instandhaltung zu achten ist.

Steinhüser und sein Team setzen drauf, dass die DIN SPEC auch die Grundlage schafft, damit Agri-PV Eingang ins Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) findet: „Das erschließt den Betreibern Fördermöglichkeiten.“ Damit eine gute Idee zu lukrativen Lösungen führt.

EIN LEBEN MIT DER SONNE

Professor Dr. Adolf Goetzberger, Gründer des ISE (links)
Professor Dr. Adolf Goetzberger, Gründer des ISE (links)

Andreas Steinhüser blättert in den Annalen seines Instituts und verweist auf den Vater des Gedankens der Agri-Photovoltaik: Professor Dr. Adolf Goetzberger, der vor genau 40 Jahren das Fraunhofer Institut für Solare Energiesysteme (ISE) gründete. Der Doyen der Solartechnik (Jahrgang 1928) hält mehr als 30 Patente und ist vielfach mit renommierten Wissenschaftspreisen ausgezeichnet. Mit großem Interesse verfolgt Adolf Goetzberger auch heute noch die Arbeiten des Fraunhofer ISE und freute sich über das erfolgreich implementierte Agri-Photovoltaik-Projekt in Heggelbach am Bodensee, das auf einer sehr frühen Idee von ihm beruht. Denn das Grundprinzip hat er schon vor mehr als drei Jahrzehnten skizziert. Jetzt wird seine Vision Wirklichkeit.

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