Die Welt im Krisenmodus! Klima, Pandemie, Krieg, Energie, Inflation – alles, was politisch, wirtschaftlich und gesellschaftlich verhandelt wird, steht unter dem Eindruck dieser „Zeitenwende“. In den Mittelpunkt rückt dabei der Begriff „Resilienz“. Es geht um den Erhalt und das Schaffen von Sicherheit und Vertrauen in unserem Leben – auch in der Wirtschaft. Das Lieferkettengesetz, der Digitale Produktpass oder Sustainable Finance gehören zu den Instrumenten, die uns resilienter machen sollen. Welche Rolle spielen Normen und Standards in diesem Kontext? Eine wichtige!
Der kalte Wind der Krise bläst uns ins Gesicht. Globale Entwicklungen bewirken ein Umdenken in Politik und Gesellschaft – ein Prozess, in dem Begriffe wie Sicherheit und Widerstandkraft Hochkonjunktur haben. Die Gefahr von Handelskriegen und Spannungen zwischen den globalen Machtzentren stellen die Einheit Europas auf eine harte Probe, nagen an unserem Fortschrittsglauben und bedrohen unsere Wirtschaftskraft – und damit unseren Wohlstand.
Um im Bild zu bleiben: Wir müssen uns warm anziehen, um den Stürmen zu trotzen. Besonders der Blick auf die Lieferketten zeigt, wie fragil unsere Welt geworden ist. Wir alle wissen, was es heißt, wenn einzelne Glieder dieser Kette reißen – etwa, wenn Waschmaschinen nicht lieferbar sind oder die Solaranlage wegen fehlenden Bauteilen nicht montiert werden kann.
Und als ob das nicht ausreicht, liefert die Politik mit Vorgaben wie dem Lieferkettengesetz weitere Herausforderungen. Dieses verpflichtet Unternehmen, Umwelt und Menschenrechte entlang der weltumspannenden Warenströme zu verbessern. Die Intention stößt auf viel Zustimmung – aber auch auf die Angst, durch die aktuelle Gesetzesvorgabe ein Bürokratiemonster zu erzeugen, was nicht mehr pragmatisch umsetzbar ist.
Beitrag zur Deregulierung
Diese Angst können wir den Betroffenen nehmen. Ein Schlüssel zur praxistauglichen Umsetzung des Lieferkettengesetzes liegt in der Anwendung von Normen und Standards. Während sich rechtliche Vorschriften auf grundlegende Anforderungen an die Sicherheit von Arbeitnehmer*innen oder den Umweltschutz konzentrieren, legen Normen und Standards technische Details fest, die es Unternehmen möglich machen, diese Anforderungen zu erfüllen.
Normung ist ein Beitrag zur Deregulierung, sie entlastet die staatliche Regelsetzung und nutzt dabei das Fachwissen von Tausenden von Expert*innen in Deutschland, Europa und weltweit. Normen und Standards lassen sich somit als Instrument zum Erreichen strategischer Ziele in verschiedenen Politikbereichen nutzen, etwa im internationalen Handel, in der Forschung, aber auch beim Aufbau resilienter Strukturen
„Normung ist ein Beitrag zur Deregulierung, sie entlastet die staatliche Regelsetzung und nutzt dabei das Fachwissen von Tausenden von Expert*innen.“
CHRISTOPH WINTERHALTER, DIN-VORSTANDSVORSITZENDER
Dabei bietet das Lieferkettengesetz eine große Chance, gestärkt aus diesen Krisen hervorzugehen, denn es setzt auf Nachhaltigkeit – auf ökologische wie auf soziale. Nachhaltigkeit kommt eine entscheidende Bedeutung beim Sichern unserer Wirtschaftskraft und Innovationsfähigkeit zu. Was Nachhaltigkeit mit Innovation zu tun hat? Nachhaltigkeit schafft Vertrauen schafft Innovation schafft Nachhaltigkeit! Das ist der Weg, oder der Ringschluss, der uns von nachhaltigem Handeln zu marktreifen Innovationen führt, die wiederum mehr Nachhaltigkeit möglich machen. Die Brücke von Nachhaltigkeit zu Innovationsfähigkeit sind resiliente Strukturen. Sie sichern also die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft.
Das gilt übrigens nicht nur für Lieferketten, das gilt auch für den Finanzsektor. Sustainable Finance und Non Financial Reporting werden immer wichtiger. Sie sind ein Hebel für die Transformation hin zu einer nachhaltigen Wirtschaft. Hier sorgt das internationale Normungssystem für Vergleichbarkeit der Nachhaltigkeits-Bewertung von Produkten, Firmen und Finanzprodukten. In globalisierten Märkten ist das entscheidend. Normen und Standards können hier Basis für das Schaffen nachhaltiger Finanzflüsse sein.
Hand in Hand
Ein wichtiges Instrument, um die Nachhaltigkeit von Produkten und Systemen und damit auch die Nachhaltigkeit des Gesamtportfolios eines Unternehmens nach einheitlichen Maßstäben zu dokumentieren und vergleichbar zu machen, ist der Digitale Produktpass. Geht es nach dem Willen der EU, soll er im Zuge des Green Deals bis spätestens 2030 kommen und künftig alle Rohstoff- und Recycling-Informationen eines Produktes bündeln. Auf den ersten Blick ergeben sich da wenige Berührungspunkte zum Lieferkettengesetz, denn es geht dabei im Wesentlichen um Sozialstandards und Umweltschutz. Auf den zweiten Blick schon, denn der Nachweis erfordert Transparenz aller Beteiligten. Der Digitale Produktpass kann genau das: Lieferketten und Materialflüsse sichtbar machen und bewerten – und dafür braucht es international anerkannte Standards.
Übrigens lassen sich in diesem Kontext leicht Parallelen zu Bereichen wie der Kreislaufwirtschaft – wir benötigen weniger Rohstoffe, wenn wir zirkulär denken – oder zur Energiewirtschaft – Diversifizierung für mehr Resilienz in der Energieversorgung – ziehen. Auch hier wird die gestaltende Kraft von Normung deutlich.
Rad nicht neu erfinden
Normen und Standards halten diese Bereiche zusammen. Sie sind wichtige Bausteine resilienter Strukturen. Wir müssen das alles nur zusammenfügen. Wie? Indem wir den engen Austausch zwischen Realwirtschaft, Finanzwirtschaft, Politik und Normungsorganisationen darüber pflegen, wie Normung die Wettbewerbsfähigkeit stärken und die Transformation begleiten kann. Dabei müssen wir das Rad nicht neu erfinden: Mit der internationalen Normung haben wir ein System aus Tausenden von Fachleuten aus aller Welt, das unabhängig von politischen Machtverhältnissen technische Lösungen für die Herausforderungen findet. Außerdem sollten wir prüfen, wo wir Schnittstellen zwischen der technischen Normung und anderen regelsetzenden Organisationen benötigen, um die genannte Transformation zu unterstützen. Die Normung ist offen für solche Kooperationen. So sind wir für stürmische Zeiten gerüstet.