Startup Klim: Standards für die regenerative Landwirtschaft

„Wir müssen Boden gut machen“
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Ein Traktor mit Erdzugmaschine fährt auf einem Feld aus Erde.

Sie prägt Landschaft, Natur und Kultur – Landwirtschaft ernährt uns Menschen. Sie gehört aber auch zu den Treibern des Klimawandels. Welche Anreize braucht es, um Landwirt*innen in einem auf Ertrag und Effizienz getrimmten Wirtschaftszweig für regenerative Landwirtschaft zu begeistern? Das Berliner Start-up Klim kennt einen Teil der Antwort und hat ein Modell marktfähig gemacht, das nicht nur klimafreundlich ist, sondern regenerative Landwirtschaft in Lieferketten der Lebensmittelbranche mess-, nachverfolg- und damit monetarisierbar macht. Das geht aber nicht ohne einen Standard.

Lutz Wildermann ist mit so ziemlich allen Wassern gewaschen, wenn es um das Thema regenerative Landwirtschaft geht. Der heute 37-Jährige ist auf einem Hof im südlichen Emsland aufgewachsen und kennt die anstrengende Feld- und Hofarbeit im elterlichen Betrieb. Und er hat als Agrarwissenschaftler und -ökonom auch die wissenschaftliche und politische Perspektive auf die Landwirtschaft. Heute ist Wildermann Head of Agriculture bei der Klim GmbH in Berlin. Das 2019 gegründete Start-up um die Gründer*innen Nina Mannheimer, Robert Gerlach und Adiv Maimon hat sich die klimaresiliente Zukunft von Landwirtschaft und Ernährung zum Ziel gesetzt. Die Klim-Mission lautet: die nachhaltige Anwendung regenerativer Maßnahmen in Landwirtschaft schnellstmöglich zu verbreiten. Und schnelles Handeln ist angesagt, denn der Klimawandel trifft auch die Landwirtschaft mit voller Wucht.

Carbon Farming

Die Intensivierung der Landwirtschaft hat in den vergangenen 50 Jahren zu einer hohen Belastung der Böden und in weiterer Folge partiell zu einem Abbau organischer Substanz geführt. Hinzu kommt der hohe CO2-Ausstoß. Hochrechnungen zufolge ist der landwirtschaftliche Sektor für sieben Prozent des Ausstoßes der gesamtdeutschen Treibhausgase verantwortlich – global betrachtet ist es ungefähr ein Viertel. Diese stammen aus verschiedenen Quellen – eine davon ist das Bewirtschaften landwirtschaftlich genutzter Böden. Regenerative landwirtschaftliche Praktiken haben das Potenzial, die Gesundheit der Böden wiederherzustellen und die Nährstoffdichte verschiedener Kulturen zu erhöhen. 

Hier setzen die regenerative Landwirtschaft und das Klim-Konzept an: Durch eine Veränderung der Fruchtfolge, alternative Bewirtschaftungsmethoden oder konservierende Bodenbearbeitung kann nicht nur die Bodenqualität verbessert werden, es lässt sich auch CO₂ aus der Atmosphäre als Kohlenstoff in und auf Böden absorbieren.

„Wir müssen Boden gut machen, im wahrsten Sinn des Wortes. Nicht nur um mittelfristig die Ertragsqualität dank besserer Böden zu sichern, sondern auch um die Klimaziele des landwirtschaftlichen Sektors einhalten zu können.“

Ein Mann mit Hut kniet auf dem Boden im Acker und bearbeitet ihn mit einer Schaufel.

Die Gesundheit von Böden lässt sich gezielt verbessern.

Dunkler grober Ackerboden im Detail

Schlag auf Schlag

Das Berliner Start-up hat deshalb Boden+ entwickelt. Boden+ ist ein modulares Programm, mit dem Landwirt*innen ihre Arbeit in den Bereichen Fruchtfolge, Aussaat, Düngung oder Pflanzenschutz dokumentieren und verifizieren können und das sie gleichzeitig mit viel Knowhow bei der Transformation hin zur regenerativen Landwirtschaft unterstützt. Dabei geht es Schlag auf Schlag: Gemeint ist der schrittweise Umstieg auf regenerative Methoden, dessen Geschwindigkeit die Landwirt*innen selbst bestimmen. Als Schlag werden in der Landwirtschaft einzelne Felder, Flurstücke oder Anbauflächen verschiedener Kulturen bezeichnet. Diese kann der landwirtschaftliche Betrieb nach und nach in das regenerative Anbaukonzept aufnehmen. Wildermann: „Unsere Plattform erlaubt Landwirt* innen eine einfache, unbürokratische und sichere Umstellung auf die regenerative Landwirtschaft.“

Ertrag und Klimaschutz schließen sich nicht aus

Die Umstellung auf regenerative Landwirtschaft hat einen weiteren enormen Vorteil für die Betriebe: Wer CO2-vermeidet oder gar verringert, also emissionsmindernd produziert, kann sich diese Maßnahmen vergüten lassen. So funktioniert es:

  1. Die Landwirtinnen und Landwirte erfassen über Boden+ die Fortschritte pro Schlag und Modul.
  2. Die endgültige Datenübermittlung erfolgt am Jahresende.
  3. Die gemeldeten Daten werden verifiziert und als Grundlage für die Vergütung herangezogen.
  4. Jedes Jahr werden die Verbesserungen pro Modul bezahlt, wobei ein Teil sofort und ein weiterer Teil nach fünf Jahren ausgezahlt wird.

Das Geld stammt von Unternehmen, die ihre Nachhaltigkeitsziele dank der Klimaschutzleistungen der Landwirt*innen erreichen. Dieses zahlen ihren CO2-Preis auf die Klim-Plattform ein, über die die landwirtschaftlichen Betriebe dann vergütet werden.

Dieses Carbon Farming (siehe gelber Kasten) genannte Vorgehen nutzt auch der Lebensmittelindustrie, die weltweit immerhin für ein Viertel aller CO₂-Emissionen verantwortlich ist. Die Lebensmittelindustrie kann regenerative Landwirtschaft entlang ihrer Lieferkette implementieren und so ihre Klimaziele dank reduzierter Treibhausgase eher erreichen. Immerhin: In der Lebensmittelindustrie kommen 80 Prozent der Emissionen in Lebensmittelprodukten direkt aus der Landwirtschaft, also aus Tierhaltung und Ackerbau.

was ist Carbon Farming?

Carbon Farming bezeichnet landwirtschaftliche Praktiken mit dem Ziel, CO2 aus der Atmosphäre zu entnehmen und über den Boden oder in Pflanzen zu absorbieren. Dazu zählen Techniken wie reduzierte Bodenbearbeitung, Aufforstung, Kompostierung oder Beweidung. Dabei lagern die Pflanzen das über die Photosynthese aufgenommene CO2 als organischen Kohlenstoff im Boden ein.

Carbon Farming verbessert zudem die Bodenqualität, steigert die Biodiversität und erhöht die Resilienz gegenüber Umweltauswirkungen – auch dank eines effizienteren Betriebsmitteleinsatzes bei Düngung und Pflanzenschutz. So kann die Landwirtschaft ihren CO2-Fußabdruck nachhaltig verringern und umweltbewusster produzieren.

Ein Mann kniet in einem Fald aus Gras und greift nach den Grashalmen.

Landwirtinnen und Landwirte nutzen die App Boden+ zur Eingabe ihrer Maßnahmen, diese werden verifiziert und bilden die Grundlage für die Vergütung.

Handy in der Hand einer Person in einem Feld.

Messen, verifizieren, reporten

Dank Carbon Farming und Plattformen wie Boden+ können landwirtschaftliche Betriebe ihre Maßnahmen für eine regenerative Landwirtschaft monetarisieren, indem sie sich ihre Anstrengungen vergüten lassen. „Die gesamte Wertschöpfungskette profitiert davon“, weiß Wildermann. „Klim vergütet landwirtschaftliche Betriebe dafür, emissionsmindernde Maßnahmen umzusetzen, und hilft Unternehmen dabei, regenerative Landwirtschaft in Lieferketten zu implementieren sowie die reduzierten Emissionen zu messen, zu verifizieren und zu reporten. Damit das funktioniert, braucht es Standards.“

Rein in die Lieferketten? Eine Frage von Standards

Um einheitliche Standards zu setzen, wie die Kohlenstoffspeicherleistungen der Böden quantifiziert, bewertet und verifiziert werden können, hat sich Klim mit Partnern aus der Industrie und dem Finanzwesen zusammengetan und die Erarbeitung der DIN SPEC 3609 mit dem Titel „Quantifizierung und Bewertung des organischen Kohlenstoffaufbaus und der Treibhausgasemissionsveränderungen aus einer angepassten Bewirtschaftungsweise auf und in landwirtschaftlich genutzten Böden“ ins Leben gerufen. Wildermann mit Klim gehört mit der K+S AG und der Landwirtschaftlichen Rentenbank zu den Initiatoren. „Mit dieser DIN SPEC gehen wir voran und zeigen, wie Carbon Farming in Deutschland praxisnah und wissenschaftlich fundiert skaliert werden kann. Damit möchten wir auch die nationale Regulatorik mit qualitativ hochwertigen Standards unterstützen.“

Der Kick-off der DIN SPEC 3609 fand im August 2022 statt. Es zeigte sich rasch, dass das Thema für viele Bereiche der Landwirtschaft relevant ist und dass das Interesse verschiedener fachlicher Bereiche nach einem Gremium, in dem man diskutieren und sich abstimmen kann, groß war. Einig sind sich alle Beteiligten darin, dass regenerative Landwirtschaft eine entscheidende Rolle dabei spielt, nicht nur Böden zu verbessern, sondern auch aktiv dem Klimawandel entgegenzuwirken.

„CO2 aus der Atmosphäre im Boden absorbieren, gleichzeitig Biodiversität fördern und Ernten in Zeiten von Extremwetterereignissen wie Dürren, Flut und Erosion sichern, das sind überzeugende Argumente für die regenerative Landwirtschaft“, so Wildermann zusammenfassend. „Wir haben mit der Klim-Plattform schon mehr als 3.000 landwirtschaftliche Betriebe dafür begeistert, den Weg der regenerativen Landwirtschaft einzuschlagen, und wir sind sicher, dass noch viele Landwirtinnen und Landwirte diesen Weg einschlagen.“

„Mit der von uns initiierten DIN SPEC gehen wir voran und zeigen, wie Carbon Farming in Deutschland praxisnah und wissenschaftlich fundiert skaliert werden kann. Damit möchten wir auch die nationale Regulatorik mit qualitativ hochwertigen Standards unterstützen.“

Ein freundlicher Mann mit grauem Pulli und Brille.

Lutz Wildermann

Head of Agriculture bei der Klim GmbH, Berlin

3 Fragen an Lutz Wildermann

Betreibt ein Öko-Bauernhof automatisch regenerative Landwirtschaft?
Nein, nicht automatisch. Auch Öko- oder Bio-Betriebe haben teilweise enge Fruchtfolgen, die stark Humus zehren. Diese Fruchtfolgen aufzubrechen und zu erweitern ist ein Element der Regenerativen Landwirtschaft. Gleichzeitig bedient sich die Regenerative Landwirtschaft vieler Elemente des Bio- oder Öko-Anbaus, wie z.B. Untersaaten mit Leguminosen, um Stickstoff auf natürliche Art und Weise aus der Luft zu binden, die auch im konventionellen Anbau integriert werden können.

Wie lange dauert der Transformationsprozess von der konventionellen zur regenerativen Landwirtschaft und wie wirken Standards in diesem Prozess?
Der Transformationsprozess läuft Schritt für Schritt und muss absolut auf die individuellen Bedürfnisse der Betriebe angepasst sein. Fallstudien zeigen jedoch, dass die zusätzlichen Vorteile aus einer regenerativen Bewirtschaftung die zusätzlichen Kosten nach circa zwei bis sieben Jahren – je nach Maßnahmenmix – übersteigen. Standards können dabei helfen, die damit einhergehenden Klimaschutzleistungen konservativ, einheitlich und sicher zu quantifizieren.

Welchen Effekt hat die Transformation für Verbraucherinnen und Verbraucher?
Regenerative Landwirtschaft sichert die Erinnerungsgrundlage von uns allen: den gesunden Boden. Das ist sicherlich der größte Effekt für die Verbraucherinnen und Verbraucher. Gleichzeitig produzieren wir so Lebensmittel mit geringerem CO2-Fußabdruck. Langfristig lässt sich sogar die Nährstoffdichte in den Lebensmitteln steigern, wodurch ein echtes Qualitätsargument für den Kauf von Produkten aus regenerativer Landwirtschaft generiert werden kann.

Das Potenzial der Landwirtschaft zur Emissionsverringerung

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