Interview mit Christoph Winterhalter, CEO von DIN

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© Goetz Schleser

„Die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen und europäischen Wirtschaft wird auch in der Normung entschieden“

Am 17. April 2023 öffnet die Hannover Messe als weltweit größte Investitionsgütermesse wieder ihre Tore. Klimawandel, Energieknappheit, unterbrochene Lieferketten, Fachkräftemangel: Diese globalen Herausforderungen werden auf der Leitmesse im Fokus stehen. Wo sehen Sie die größten Herausforderungen für die Industrie?

Die Industrie steht vor der gewaltigen Herausforderung, ihre Produktion CO2-neutral aufzustellen. Wir reden von einer der größten wirtschaftlichen Transformationen der vergangenen 100 Jahre. Das ist eine Aufgabe, die wir nur gemeinsam bewältigen können – das heißt die Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft in engem Schulterschluss. Wichtig ist es jetzt, die regulatorischen Rahmenbedingungen richtig zu setzen und neue Technologien konsequent einzusetzen – und das global, nicht nur national.

Wo steht Deutschland hier im internationalen Wettbewerb?

Wie wir uns im internationalen Wettbewerb behaupten können, wird maßgeblich davon abhängen, ob es uns gelingt, unsere Industrie nachhaltiger, zirkulärer und damit resilienter aufzustellen. Die Gründe dafür sind offensichtlich: Ressourcen werden knapper, Lieferketten fragiler und die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen für Wirtschaft und Gesellschaft zunehmend riskant. Und der internationale Wettbewerb schläft nicht: Die USA investieren mit ihrem Inflation Reduction Act derzeit massiv in diesen Bereich. Und auch China setzt seinen Fokus auf grüne und digitale Zukunftstechnologien. Mit unserer leistungsstarken Industrie verfügen wir aber über eine gute Ausgangsposition in diesem globalen Wettlauf. Wir bekommen hier auf der Hannover Messe die Innovationskraft und Anpassungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft eindrucksvoll vor Augen geführt. Ich freue mich über die Aufbruchsstimmung, die hier auf der Hannover Messe zu spüren ist. Und auch politisch hat sich in den letzten Jahren einiges bewegt. Die EU hat mit ihrem Green Deal die Weichen gestellt, um einer zirkulären Wirtschaft und einer CO2-neutralen Produktion einen großen Schritt näher zu kommen.

Was braucht es also noch damit die grüne Transformation gelingt?

Die grüne Transformation gelingt nur, wenn wir die Wertschöpfungsprozesse in der Industrie transparenter, zirkulärer und digitaler aufzustellen. Daran arbeitet die deutsche Industrie mit aller Kraft. Beispiele dafür sind Projekte wie Catena-X und Manufacturing-X, deren gemeinsames Ziel ein Datenaustausch auf Basis europäischer Werte ist. Unternehmen sollen Daten zukünftig über die gesamte Fertigungs- und Lieferkette souverän und gemeinsam nutzen können. Und das ist dann wiederum die Voraussetzung dafür, den CO2-Fußabdruck von Produkten besser zu ermitteln. Ein weiteres Beispiel ist der Digitale Produktpass: Er soll künftig alle Produktinformationen – von verwendeten Rohstoffen inklusive Herkunftsnachweisen bis zu Recycling-Möglichkeiten – bündeln und über den gesamten Lebenszyklus transparent und abrufbar machen. Das zeigt: Digitalisierung ist elementar für die grüne Transformation. Sie ist der Hebel für effiziente und transparente Prozesse und erforderlich, um Rohstoffe und Produkte im Kreis führen zu können. Unterstützt werden müssen diese Ambitionen von einer klugen und flexiblen gesetzlichen Regulierung.

Welche Rolle spielen Normen und Standards hierbei?

Normen und Standards sind ein wesentlicher Baustein der grünen Transformation. Gerade da die deutsche Wirtschaft stark vom Export abhängig ist, also vom Erfolg ihrer Produkte auf dem Weltmarkt, muss zum Beispiel ein Digitaler Produktpass international anschlussfähig sein. Es braucht einheitliche Standards, so dass Daten vergleichbar und global anwendbar sind. Ähnlich ist es bei Projekten wie Catena-X und Manufacturing-X. Die Wertschöpfungsketten der Industrie sind global aufgestellt, daher braucht es auch international akzeptierte Standards. Dies kann am besten über eine aktive Mitarbeit in der internationalen Normung bei ISO/IEC als weltweit anerkannte Plattform erfolgen.  

Wie entstehend internationale Standards?

Als einflussreiches und aktives Mitglied der ISO ist DIN das deutsche Tor zur internationalen Normung. Gemeinsam mit der DKE, als deutschem Vertreter in der elektrotechnischen Normung bei IEC, vertreten DIN und DKEdie deutschen Interessen in der internationalen Normung. Mehr als 100.000 Expert*innen aus 167 Ländern erarbeiten bei ISO und IEC Normen, die international breit akzeptiert und genutzt werden. DIN erarbeitet in nationalen Spiegelgremien eine abgestimmte deutsche Position, entsendet deutsche Fachleute in die internationalen Normenausschüsse der ISO und vertritt so unsere nationalen Interessen.

Wie nutzen andere Länder die internationale Normung – gerade von China ist in diesem Zusammenhang ja oft die Rede?

Die großen internationalen Akteure wie zum Beispiel China haben verstanden, dass die globalen Spielregeln aufgrund der grünen und digitalen Transformation neu geschrieben werden. Sie nutzen die internationale Normung daher sehr strategisch und setzen ihre Karten insbesondere auf Zukunftsthemen wie Wasserstoff, Künstliche Intelligenz oder Internet der Dinge – auch kritische Rohstoffe sind ein wichtiges Thema. Mit der EU-Standardisierungsstrategie hat die EU reagiert. Die Politik hat erkannt, dass die europäische Wettbewerbsfähigkeit, die technologische Souveränität, der Schutz der europäischen Werte und die Erreichung der Umweltschutzziele auch davon abhängen wird, wie erfolgreich wir die Normung auf internationaler Ebene betreiben. Mit der Gründung des High-Level Forums on European Standardization durch die EU Kommission und der Konstituierung des Deutschen Strategieforums für Standardisierung durch das Wirtschaftsministerium wurden bereits erste Schritte unternommen, um diese Ziele umzusetzen.   

Was bedeutet das für die deutsche Industrie?

Wettbewerbsfähigkeit, Resilienz und Souveränität der deutschen und europäischen Wirtschaft werden auch in der Normung entschieden. Es braucht also das Engagement und das strategische Verständnis für den Nutzen der Normung. Ich möchte daher alle Vertreter aus Wirtschaft, Politik, Wissenschaft und Zivilgesellschaft dazu aufgerufen, sich aktiv in der Normung zu engagieren. Die grüne Transformation gelingt nur gemeinsam.

Auf der Hannover Messe stehen die Themen CO2-neutrale Produktion, Künstliche Intelligenz, Wasserstofftechnologien, Energiemanagement und Industrie 4.0 im Fokus. Wo steht die Normung hier?

Wir werden auf der Hannover Messe gemeinsam mit der DKE und dem Standardization Council Industrie 4.0 die fünfte Ausgabe der Normungsroadmap Industrie 4.0 vorstellen, in der wir den Fahrplan für die Normung in diesem Bereich skizzieren. Für Wasserstoff haben wir Ende März den Startschuss für die erste Normungsroadmap zu diesem Thema gegeben – das Projekt führen wir gemeinsam mit sechs weiteren Partnern durch. Gerade bei solchen Querschnittsthemen braucht es eine breite Mitwirkung und die Expertise von Expert*innen aus allen Bereichen. Auf der Weltklimakonferenz hat die ISO im November Netto-Null-Leitlinien veröffentlicht, der Akteure und Organisationen auf der ganzen Welt unterstützen soll, ihre Netto-Null-Ziele zu erreichen. Die Normung verfügt über einen wichtigen Hebel bei der Lösung der vor uns stehenden Herausforderungen – und den werden wir weiter konsequent und fokussiert nutzen.  

Christoph Winterhalter

ist Vorstandsvorsitzender von DIN und seit Januar 2022 zusätzlich Vice President Policy der internationalen Normungsorganisation ISO.

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