Sicher in luftiger Höhe
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© Katrin Binner

Gerüste sichern Menschen. Ob Spengler, Dachdecker oder Fassadenbauer – wer in luftiger Höhe arbeitet, verlässt sich darauf. Mit einer neuen App will Jeanette Spanier jetzt die Sicherheitsdokumentation revolutionieren.

Wer kennt nicht die Bilder vom Bau des Empire State Building? Schwindelfrei balancieren Arbeiter vom Stamm der Mohawk-Indianer auf schmalen Stahlträgern. Ungesichert. Doch die wagemutigen Himmelsläufer sind Vergangenheit. Längst sorgen Gerüste für Sicherheit von Mensch und Material. Dabei gilt es, zahlreiche Normen und Regeln zu beachten. Jeanette Spanier, Gerüstbaumeisterin aus Rhein-land-Pfalz, setzt die notwendige Dokumentation in einer App um.
Scaffeye lautet der Name der digitalen Lösung.

Seit 1952 regeln Normen und Vorschriften den fachgerechten Umgang mit Gerüsten. Mit gutem Grund. Schließlich steht die Sicherheit von Fassadenbauern, Malern, Gipsern und Dachdeckern im Vordergrund. Das zeitigt einen enormen administrativen Aufwand. „Eine gute Planung und Logistik sind das A und O, um Sicherheit zu gewährleisten und Arbeitsunfälle zu verhindern“, weiß Jeanette Spanier aus dem Alltag. „90 Prozent unserer Arbeit fließen dort hinein, nur zehn Prozent betreffen den Aufbau des Gerüstes.“ Grund genug für Jeanette Spanier, nach einem Weg zu suchen, Prozesse zu digitalisieren. Von Kindesbeinen an im väterlichen Betrieb mit Leidenschaft vom Thema fasziniert, brennt sie, ihr Gewerk fit zu machen für die digitale Transformation.

Die Gerüstbaumeisterin sagt: „Schon in Planungsphase und Kalkulation entsteht ein Papierwust, der im Zeitalter der Digitalisierung längst überholt ist.“ Aus der Not machte sie eine Tugend und konzipierte Scaffeye, eine App zur Verwaltung und Dokumentation aller Vorgänge rund um das Gerüst – von der Planung über die Freigabe bis zum Abbau.

Über Scaffeye

Zu einem Gerüst haben viele Unternehmen und Personen Zugang. Das – sowie die verpflichtende Sicherheitsprüfung durch die Gerüstnutzer – birgt vor allem für den Gerüstersteller Risiken und Kosten.
Scaffeye ist die digitale Lösung zur zentralen Verwaltung jedes Gerüstes.

Gerüstbaumeisterin Jeanette Spanier hat gemeinsam mit ihrem Vater eine App entwickelt, die Sicherheit und Transparenz schafft und gleichzeitig als vielseitiges, digitales Werkzeug effektiv Zeit und Kosten spart.

Hier gelangen Sie zur Website des Start-ups:
www.scaffeye.de

„Der Papierwust rund um das Gerüst ist in Zeiten der Digitalisierung ein Anachronismus.“

Das Gerüst

Schon immer bediente sich der Mensch verschiedenster Hilfsmittel bei der Errichtung oder Gestaltung von Bauwerken. Laut der höchst informativen und fundierten Website Baunetz_Wissen_ fanden sich Spuren von Gerüsten und Seilen beispielsweise in der Höhle von Lascaux in der französischen Dordogne. Nur mit ihnen ließen sich die Malereien an den Felswänden und -decken anbringen, die zwischen 17000 und 15000 v. Chr. entstanden sein sollen. Nicht ganz so alt sind die bildlichen Darstellungen unterschiedlicher Gerüstarten, die man auf ägyptischen Reliefs und Grabgemälden fand. Sie werden auf etwa 1450 v. Chr. datiert und zeigen Gerüste aus Holzstützen und Brettern, die mit einfachen Knotenverbindungen aus dünnen Weidenästen, Seilen aus Papyrus oder Sisal verbunden sind.

Die Industrialisierung brachte Anfang des 19. Jahrhunderts die ersten Fachwerkkonstruktionen aus Eisen und Stahl hervor. Es entstanden Leitergerüste und zerlegbare Stahlrohrkonstruktionen, mit denen sich die immer höheren Bauwerke in den USA errichten ließen.

© Katrin Binner

Schon von Kindesbeinen an war Jeanette Spanier auf sicheren Planken zu Hause.

Digitale Freigaben für mehr Sicherheit

Mit dieser App werden Gerüste digital mit allen Projektbeteiligten geteilt. Spanier: „Wer mit unserer Applikation arbeitet, hat auf dem Smartphone immer den aktuellsten Stand des Gerüstes im Blick.“ Erster Schritt nach dem Aufbau auf der Baustelle ist die Freigabe durch eine befähigte Person. Durch ein Rollenmodell kann nur die die Freigabe auslösen. Was bis dato bis zu 45 Minuten Zeit beanspruchte, benötigt jetzt nur noch ein paar Mal Tippen auf dem Smartphone oder dem Tablet in wenigen Minuten. Danach steht das Gerüst, für alle erkennbar am Status „Grün“. Am Gerüst selbst gibt es beim Prüfzertifikat einen QR-Code, mit dem sich das Gerüst aufrufen lässt. Alle Veränderungen, Auffälligkeiten und vor allem die morgendliche Freigabe werden im System dokumentiert. Auch Handyfotos der aktuellen Situation lassen sich einbinden. So wird die Dokumentation für jeden leicht nachvollziehbar.
Stellt ein Handwerker bei der Prüfung vor Arbeitsbeginn einen Mangel fest, wird dieser direkt über das System festgehalten und per Direktbenachrichtigung an alle Nutzer übermittelt. Bei Gefahr im Verzug kann das Gerüst dann auch digital gesperrt werden. Jeanette Spanier: „Jeder weiß genau, welche Prüfungen das Gerüst durchlaufen hat oder was sich geändert hat beziehungsweise was geändert werden muss.“

„Digitalisierung ist mir eine Herzensangelegenheit“

NORMEN UND VORSCHRIFTEN RUND UM DAS GERÜST

Die wichtigsten Normen für Arbeitsgerüste sind die Normenreihen DIN EN 12810 „Fassadengerüste aus vorgefertigten Bauteilen“ und DIN EN 12811 „Temporäre Konstruktionen für Bauwerke“ sowie die nationalen Restnormen DIN 4420-1 und DIN 4420-3 für „Arbeits- und Schutzgerüste“.
Für Traggerüste gelten die DIN EN 12812 „Traggerüste – Anforderungen, Bemessung und Entwurf“ und die DIN EN 12813 „Temporäre Konstruktionen für Bauwerke – Stützentürme aus vorgefertigten Bauteilen“. Normen für Arbeitsgerüste und Traggerüste basieren auf so genannten Grundnormen – Eurocodes.

Darüber hinaus sind die Vorschriften des Arbeitsschutz- (ArbSchG) und des Arbeitssicherheitsgesetzes (ASIG) sowie der Verordnung über Sicherheit und Gesundheitsschutz auf Baustellen (Baustellenverordnung) zu beachten. Konkrete Handlungsanweisungen zu Schutzeinrichtungen bei der Bauausführung finden sich in den Technischen Regeln für Betriebssicherheit (TRBS 2121) und in der Arbeitsstättenrichtlinie (ASR A2.1).

Ein Plus an Sicherheit und Transparenz für alle Nutzer – das will Scaffeye.

Smartphone ersetzt Papier. Das ist die Zukunft.

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Transparenz für mehr Wirtschaftlichkeit

Nicht nur die Arbeitssicherheit steht hier im Vordergrund, sondern auch die Prozessoptimie­rung der kaufmännischen Seite. „Nicht alles, was Architekten in ein Leistungsverzeichnis schreiben, entspricht auch den Vorschriften“, sagt die Meisterin. Dem steuert sie mit ihrer App entgegen. Als digitale Plattform und Schnitt­stelle zwischen Planern, Gerüsterstellern, Gerüstnutzern, Handwerkern und Sicher­heitskoordinatoren beschleunigt Scaffeye Pro­zesse und senkt die Kosten. 

Ein plakatives Bei­spiel: Ladelisten, die bis zu 30 DIN A4-Blätter umfassen, sind jetzt digital hinterlegt. Das macht es nicht nur einfacher, sondern vermeidet auch „Angstbestände“ für den Fall der Fälle. Ebenso hält sich der vielfach unerklärliche Material­schwund in Grenzen.

„Mit der DIN SPEC schaffen wir einen sicheren Rahmen“

DIN SPEC sorgt für klare Spielregeln

Für Jeanette Spanier ist Digitalisierung eine Herzensangelegenheit. Ihr mehrfach preisge­kröntes Tool präsentiert sie deshalb mit viel Engagement bundesweit auf Kongressen und Messen. Geplant ist darüber hinaus die Expan­sion ins benachbarte Ausland. Spanier ging aber noch einen Schritt weiter. Sie initiierte die DIN SPEC 91402 und brachte so ihr Expertenwis­sen ein. 

Diese DIN SPEC legt Leistungskatego­rien und deren Leistungsinhalte im Gerüstbau für industrielle verfahrenstechnische Anlagen fest – als Grundlage für die Beschreibung und die Bewertung von Leistungspositionen in Standardleistungsverzeichnissen. Der Gerüstbau umfasst dabei Leistungskategorien zur Montage, Demontage und zum Umbau in Industrieanlagen im Gelände und an Industriestandorten. Warum dies so viel Sinn macht, weiß die Gerüstbaumeis­terin aus eigener Erfahrung: „Das Gerüst ist für die Nutzer meist nur ein notwendiges Übel, um ihre Arbeiten auszuführen. Die DIN SPEC schafft hingegen einen sicheren Rahmen.“

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