Die EU-Kommission hat die Normungsverordnung evaluiert und den Reformprozess angestoßen mit dem Ziel, Normung schneller, agiler und digitaler zu machen. Katja Krüger, Leiterin Regierungsbeziehungen bei DIN, ordnet die Pläne ein.
Seit mittlerweile 13 Jahren ist die europäische Normungsverordnung (EU) 1025/2012 in Kraft. Die Europäische Kommission hat umfassend evaluiert, welche Auswirkungen diese Regulation entfaltet, und im Mai 2025 eine positive Bilanz gezogen: Das europäische Normungssystem spielt eine entscheidende Rolle für den Binnenmarkt sowie für die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Europäischen Union. Dennoch sieht die Kommission Verbesserungsbedarf. Angesichts schnellerer Technologiezyklen, der fortschreitenden Digitalisierung und geopolitischer Herausforderungen wird mehr Flexibilität und Agilität in der Normung gefordert. Zudem sollen Europas Interessen und Werte in der internationalen Normung stärker berücksichtigt werden. Um diesen Zielen näherzukommen, hat die Kommission im Juni den Prozess zur Überarbeitung der Normungsverordnung gestartet.
Instrument der Kohäsionspolitik
Schneller, agiler, digitaler werden und gleichzeitig noch stärker auf die Einbindung weiterer Stakeholder achten als bisher – ist das überhaupt möglich? Die höchsten Güter der europäischen Normung sind breite Beteiligung und Konsens. Diesen unter Einbindung von Stakeholdern aus ganz Europa zu erreichen, braucht Zeit. Zeit, die die meisten Expertinnen und Experten in der Normung ehrenamtlich neben ihrer beruflichen Tätigkeit aufbringen. Sicher lassen sich einige Prozessschritte beschleunigen, digitalisieren, automatisieren – DIN arbeitet proaktiv an solchen Lösungen und treibt deren Umsetzung auf europäischer Ebene als Vorreiter voran. An der Zeit für die inhaltliche Qualität sollte aber nicht gespart werden.
Sind damit die Ziele, die die EU-Kommission vorgibt, unerreichbar? Nein. Aber über den Weg dorthin muss lösungsoffen diskutiert werden. Die Kommission überlegt, vermehrt auf Standards von außerhalb des europäischen Normenwerks zu setzen oder mit gemeinsamen Spezifikationen („common specifications“) selbst technische Detailregulierung zu betreiben. Dass diese Produkte den hohen Anforderungen entsprechen, die an Europäische Normen gestellt werden, ist höchst unwahrscheinlich. Und wie soll Kohärenz sichergestellt werden?
Innovationskraft im System
Die Lösung für eine dynamischere Normung liegt daher innerhalb des Systems: Die europäischen Normungsorganisationen (ESOs) haben hohes Innovationspotenzial und sind bestens in der Lage, die regulatorischen Anforderungen der EU mit vielfältigen Produkttypen abzubilden. Möglich wäre zum Beispiel, dass die EU-Kommission bei einem Normungsauftrag priorisiert: Soll es besonders schnell gehen, oder ist ein breiter Abstimmungsprozess wichtiger? Insbesondere bei disruptiven oder digitalen Technologien könnte der Einsatz schnellerer Instrumente wie der Technischen Spezifikation (TS) oder des Workshop Agreements (CWA) erwogen werden. Auch die Integration bestehender Konsortialstandards in Dokumente der ESOs wäre denkbar. Gleichzeitig könnten bei der Standardisierung von Grundlagentechnologien, die eine umfassende Einbindung von Stakeholdern erfordern, längere Entwicklungszeiten für die Europäische Norm (EN) berücksichtigt werden. Die geeignete Herangehensweise sollte frühzeitig im Erstellungsprozess von Normungsaufträgen in Zusammenarbeit mit den ESOs bestimmt werden.
Kohärerenz als Erfolgsfaktor
Die Strategie, Verbesserungen im bestehenden Normungssystem zu verfolgen, hat zudem gleich zwei entscheidende Vorteile: Kohärenz – für jeden Regelungsgegenstand existiert nur ein passgenauer Standard im Gesamtgefüge des euro-päischen Normenwerks – und die internationale Anbindung aller Inhalte, die nur über die Verbindung der nationalen Mitglieder der ESOs zu ISO und IEC erreicht werden kann. Letztere ist ein bedeutender Faktor, um eine starke europäische Präsenz in der globalen Normung gemäß den geopolitischen Zielen der EU-Kommission zu sichern.
Wie geht es jetzt weiter?
Aktuell läuft eine breite öffentliche Konsultation der Pläne der EU-Kommission für die Überarbeitung der Normungsverordnung. Noch bis zum 17. Dezember können Sie hier Kommentare und Meinungen abgeben. In dieser Phase kommt es darauf an, dass auch die Stimmen der Normenanwender*innen in Brüssel gehört werden.
Nutzen Sie diese Gelegenheit, um die Sicht Ihres Unternehmens oder Ihrer Organisation auf die Zukunft des europäischen Normungssystems einzubringen. Nach Auswertung der Rückmeldungen wird die EU-Kommission einen konkreten Textentwurf für die Neufassung der Verordnung erarbeiten, der voraussichtlich im Sommer 2026 veröffentlicht und anschließend in Parlament und Europäischem Rat beraten wird. Die Frage „Quo vadis?“ wird die europäische Normung folglich auch in den kommenden Jahren intensiv beschäftigen.
ZUR PERSON
Katja Krüger leitet bei DIN den Bereich Regierungsbeziehungen.



