Bis 2045 möchte Deutschland klimaneutral sein. Für die Umsetzung des Plans spielt Wasserstoff als Energieträger eine wichtige Rolle. Schlüsselkompetenzen für das Gelingen des Markthochlaufs sind seine Speicherung und sein Transport. Genau damit beschäftigt sich der Fachbereich „Sicherheit von Gasspeichern“ der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM) und engagiert sich auch in der Normung.
Die Nationale Wasserstoff-Strategie der Bundesregierung sieht vor, den Einsatz von Wasserstoff bis 2030 massiv zu steigern. Der Markthochlauf der entsprechenden Technologien steht dabei im Mittelpunkt, flankiert von begleitenden Maßnahmen. Dazu gehört die Verfügbarkeit von Wasserstoff – bis 2030 soll sich die Elektrolysekapazität von fünf auf zehn Gigawatt verdoppeln – untermauert von einer Importstrategie. Die nötige Infrastruktur, bestehend aus neuen Wasserstoffleitungen und einer Anbindung von Erzeugern, Importzentren und Speichern, soll bis spätestens 2028 beziehungsweise 2032 bereitstehen. Damit dies gelingt, sind außer Industrie und Politik viele weitere Beteiligte gefragt. So zum Beispiel die Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM) in Berlin, eine wissenschaftlich-technische Bundesoberbehörde im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK). Sie ist unter anderem dafür zuständig, die Sicherheit in Technik und Chemie weiterzuentwickeln, Stoffe und Anlagen zu prüfen, den Wissens- und Technologietransfer zu fördern, bei der Entwicklung gesetzlicher Regelungen wie Sicherheitsstandards und Grenzwerten mitzuarbeiten sowie Regierung und Wirtschaft zu beraten. Bereits kurz nach ihrer Gründung 1871 beschäftigt sich die BAM intensiv mit Wasserstoff. Damals stand vor allem das Thema Sicherheit im Fokus – und auch rund 150 Jahre später ist die Sicherheit noch von zentraler Bedeutung in der Wasserstoff-Wertschöpfungskette.
Transport und Speicherung von Wasserstoff im Forschungsfokus
An einem wichtigen Schlüsselthema in diesem Zusammenhang arbeitet bei der BAM zum Beispiel das Team von Dr. Georg Mair. Er ist Leiter des Fachbereichs Sicherheit von Gasspeichern und Co-Sprecher des Kompetenzzentrums Wasserstoff der BAM, „H2Safety@BAM“, in dem die Behörde alle Aktivitäten rund um Wasserstoff bündelt und koordiniert. Mairs Team forscht aktuell verstärkt im Bereich Sicherheit von Druckgefäßen im Gefahrguttransport. „Genauer geht es um die Hochdruckspeicherung von Wasserstoff in Composite-Speichern, wie sie zur Speicherung und zum Transport auf Straße und Schiene zum Einsatz kommen“, erklärt Mair. „Im Fokus der Forschung rund um den Markthochlauf stehen momentan viele Themen rund um die Speicherung und den Transport. Dabei geht es zum einen um die Sicherheit, zum anderen aber auch darum, diese Infrastrukturtechnologie so effizient wie möglich zu gestalten, um die Verfügbarkeit von Wasserstoff bei den Endverbraucherinnen und Endverbrauchern zu gewährleisten.“
Diese Composite-Speicher waren auch Mairs erster Berührungspunkt mit der Normung Ende der 1990er-Jahre. „Vor dreißig Jahren ging es darum, das Leergewicht in den Speichern zu senken“, erinnert er sich. „Mithilfe von Composite-Speichern mit Kunststofflinern auf Basis der DIN EN 12245 oder der ISO-11119-Reihe anstelle von Stahlflaschen haben wir es von 11 auf über 35 Kilogramm Wasserstoff pro Tonne Gesamtgewicht eines sogenannten Batteriefahrzeuges geschafft. Das ist eine Verdreifachung der relativen Nutzlast. Diese Bemühungen um Europäische und internationale Normen, auf die sich das Gefahrgutrecht beziehen, gehen weiter.“ Normung als wichtige Stellschraube beim Wasserstoff-Markthochlauf hat dementsprechend auch bei der BAM Priorität: In Mairs Fachbereich allein engagieren sich sieben von knapp 30 Mit- arbeitenden als Expertinnen und Experten in verschiedenen Gremien bei DIN, CEN und/oder ISO. Und in den vergangenen Jahren hat sich auch die Normung für Speicher in Transportfahrzeugen weiterentwickelt: 2019 wurde die DIN EN 17339 „Ortsbewegliche Gasflaschen – Vollumwickelte Flaschen und Großflaschen aus Kohlenstoff-Verbundwerkstoffen für Wasserstoff“ veröffentlicht, an der Mair beteiligt war, die erste Gefahrgutnorm, die sich ausschließlich auf den Transport von Wasserstoff in Composite-Speichern bezieht. „Dank dieser Norm ist es möglich, noch leichtere Gasflaschen zu nutzen, um Ressourcen und Kraftstoff zu sparen“, so Mair.
Neue Prüfverfahren für einen sicheren Transport
Der sichere Transport von Wasserstoff ist ein kritischer Punkt für den geplanten Markthochlauf. „Ohne Sicherheit keine Akzeptanz und ohne Akzeptanz kein Wasserstoff als Energieträger“, so Mair. „In vielen Bereichen haben wir schon die nötigen Technologien dafür. Das System ist aktuell allerdings noch nicht auf einen Massenmarkt ausgerichtet – weder in Bezug auf Kapazitäten noch auf Effizienz. Unsere Hauptmotivation für Forschung und Normung ist es aus meiner Sicht, Probleme voraussehen zu können, die sonst niemand auf dem Schirm hat, die sich aber bei genauer Beobachtung am Horizont der Praxis erkennen lassen. Ist ein künftiges Problem erkannt, ist es wichtig, frühzeitig anzufangen, Lösungsansätze für das Recht oder eine Norm zu entwickeln, entsprechende Änderungen anzustoßen und rechtzeitig durchzusetzen.“
Ein Beispiel ist die Frage der wiederkehrenden Prüfung der Wasserstoffspeicher im Gefahrguttransport, an der Mairs Fachbereich aktuell arbeitet. „Die Sicherheitsprüfung der Gasflaschen mit Wasser ist momentan noch sehr aufwendig und langwierig und braucht im Nachgang viel Wasserstoff für die Reinigung. Zudem sorgt sie dafür, dass teure Transportfahrzeuge bis zu acht Wochen lang stillstehen, weil sowohl die Trailer als auch die Flaschen auseinandergebaut werden müssen“, erklärt Mair. Ziel der Forschung seines Teams – deren Ergebnisse in die Arbeit des DIN-Normenausschusses Druckgasanlagen (NDG) einfließen – ist es deswegen, ein zerstörungsfreies Prüfverfahren zu qualifizieren. „Wir möchten zunächst das Prüfmedium Wasser durch Wasserstoff ersetzen und mittelfristig erreichen, dass eine Stichprobenprüfung ausreicht, denn aktuell muss noch jede einzelne Gasflasche regelmäßig geprüft werden“, so Mair.
Deutschland kann seinen Bedarf an Primärenergie nicht selbst decken und muss daher beispielsweise Wasserstoff importieren.
Deutschland kann seinen Bedarf an Primärenergie nicht selbst decken und muss daher beispielsweise Wasserstoff importieren.
Deutschland kann seinen Bedarf an Primärenergie nicht selbst decken und muss daher beispielsweise Wasserstoff importieren.
Engpässe in der Wasserstoffversorgung verhindern
Einen ersten Schritt in Richtung Effizienzsteigerung hat Mairs Team bereits vor zehn Jahren erreicht: „Damals haben wir einen Ansatz gefunden, mit dem wir in Abstimmung mit dem Verkehrsministerium Prüffristen von Composite-Gasflaschen von fünf auf zehn Jahre über eine wissenschaftlich fundierte Lebensdauerabschätzung verlängern konnten. Letztendlich geht es darum, dass wir ohne Sicherheitsverlust die Transportkapazitäten für Wasserstoff steigern können, sonst würden empfindliche Engpässe im Markthochlauf entstehen. Selbst wenn die autorisierten Prüfinstitute für den Markthochlauf ihre Kapazitäten ausbauen, werden sie langfristig den weiteren Aufbau der Fahrzeugflotten der Wasserstoffindustrie nicht abfangen können. Im schlimmsten Fall könnte man die Wasserstofftrailer nicht befüllen, weil die Prüffristen überschritten sind. Deswegen ist es wichtig, dass sich Normung, Recht, Technologie und Wissenschaft jetzt damit auseinandersetzen, wie man dieses Problem vermeiden kann.“ Künftig könnte die Prüfung aus Mairs Sicht auch durch digitale Normen erleichtert werden: Verfahren und Vorgaben könnten so in digitale Lebenslaufakten integriert und mit statistischen Auswertungen sowie Informationen zur erstmaligen Prüfung und den Ergebnissen der Prüfungen aus dem Produktionsprozess integriert werden.
„Wir haben alle noch viele Ideen, was man noch tun sollte.“
DR. GEORG W. MAIR, LEITER DES FACHBEREICHS „SICHERHEIT VON GAS SPEICHERSYSTEMEN“, H2SAFETY@BAM
Europaweiter Austausch
Prüfverfahren für den Gefahrguttransport sind nicht das einzige Normungsthema, in dem sich die BAM engagiert: Allein im Bereich Wasserstoff gibt es etwa 35 Fach- und Normungsgremien, an denen die Expertinnen und Experten der Behörde beteiligt sind. Durch die Normungsroadmap Wasserstofftechnologien, die im Sommer erscheint, kamen einige neue Umsetzungsprojekte hinzu, zum Beispiel die Überarbeitungen der Normen DIN EN 13385:2002 „Ortsbewegliche Gasflaschen – Batterie-Fahrzeuge für beständige und verflüssigte Gase (außer Acetylen) – Prüfung zum Zeitpunkt des Füllens“ und DIN EN 13807:2017 „Ortsbewegliche Gasflaschen – Batterie-Fahrzeuge und Gascontainer mit mehreren Elementen (MEGCs) – Auslegung, Herstellung, Kennzeichnung und Prüfung“. Mair leitet die Arbeitsgruppe 2.2.1 „Stationäre und ortsbewegliche Druckbehälter“ in der Normungsroadmap, einige seiner Kolleginnen und Kollegen sind an Normungsprojekten in den Bereichen Schiffstransport und stationäre Anwendung von Speichern beteiligt. Insgesamt wirkt die BAM in 12 der 40 Arbeitsgruppen der Normungsroadmap mit.
Im Fokus stehen außer dem Wasserstoff auch seine Derivate, etwa flüssige organische Wasserstoffträger (Englisch: liquid organic hydrogen carriers, LOHC), die wie Ammoniak eine Alternative zum Wasserstoff bieten. „In Deutschland müssen wir davon ausgehen, dass wir unseren Bedarf an Primärenergie nicht selbst decken können und so zum Beispiel Wasserstoff und seine Derivate in großen Mengen importieren müssen“, sagt Mair. „Wir haben unterschiedliche Möglichkeiten, Wasserstoff zu beziehen und zu transportieren. Die Normung bei CEN und ISO gibt uns die Möglichkeit, uns mit Expertinnen und Experten aus Europa und der Welt auszutauschen. Dadurch profitieren wir von ihren Erfahrungen, können diese bündeln und gemeinsam zu neuen Lösungen kommen.“ Ziel ist es, einen möglichst umfassend harmonisierten Ansatz für die Wasserstoffspeicherung und den -transport zu finden.
Akzeptanz von Wasserstoff als Energieträger
Eine Herausforderung haben alle dieser Projekte gemein: „Für den Markthochlauf müssen wir schon jetzt viele Fragen beantworten, auf die wir mit Blick auf die Dimensionen keine Erfahrungen haben. Wir müssen abschätzen und simulieren“, so Mair. „Gleichzeitig müssen wir die Akzeptanz von Wasserstoff als Energieträger fördern. Die Technologien an sich sind zwar in der Industrie schon ausgereift, doch noch nicht in der Breite angekommen. Daher entsteht manchmal der Eindruck, Wasserstoff sei ein neuer Energieträger – dabei haben wir in Deutschland im Gegensatz zu Südkorea und Japan den Fokus nicht auf Verbraucherinnen und Verbraucher, sondern auf die Industrie gelegt. Nichtsdestotrotz begleitet die Diskussion um mögliche Einsatzgebiete oft eine gewisse Skepsis. Hier sollten Forschung, Politik und Normung ansetzen, um alle mitzunehmen.“
Um den Markthochlauf voranzubringen, gibt es laut Mair noch viel zu tun: „Wir haben bei der BAM und in den Normenausschüssen eigentlich noch sehr viel mehr Ideen, was man noch tun sollte, um Wasserstoff schneller und in der Breite als Energieträger zu etablieren. Aktuell hat für uns allerdings Priorität, dass wir Speicherung und Transport gemeinsam mit Industrie, Wirtschaft, Politik und Normung auf eine solide und vor allem auch massentaugliche Basis stellen.“
Über Dr. Georg Mair
Dr. Georg Mair ist Leiter des Fachbereichs Sicherheit von Gasspeichern und Co-Sprecher des Kompetenzzentrums Wasserstoff der BAM, „H2Safety@BAM“.