Normen für die Finanzberatung

„Wir als Finanzbranche haben in den vergangenen 10 Jahren gelernt, Standards zu setzen“
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© DEFINO

Text: Dr. Klaus Möller

Ziemlich genau 10 Jahre ist es her, dass eine überschaubare Gruppe beim Deutschen Institut für Normung die Arbeit an dem ersten DIN-Standard für die Finanzberatung aufnahm: der DIN SPEC 77222 „Finanzanalyse für Privathaushalte“. Die Akteure waren damals DIN-Novizen, aber von der Idee beseelt, mithilfe von DIN branchenübergreifende Standards zu etablieren, die wie so viele Normen in anderen, insbesondere technischen Wirtschaftszweigen den Anwendern und den Verbrauchern gleichermaßen nutzen und Vertrauen schaffen.

Die DIN SPEC sollte das leisten, indem sie Anforderungen an die ganzheitliche Finanzanalyse definierte, sozusagen das finanzielle Blutbild einer bestimmten Privatperson in ihrer spezifischen Lebenssituation immer gleich ausfiele, egal wer es erstellte: ob ein Versicherungsagent oder eine Bankberaterin oder ein Makler.

Zehn Jahre später ist aus der DIN SPEC 77222 nicht nur die gleichnamige DIN-Norm 77230 geworden; diese wurde im Jahre 2022 auch um ein Modul für die „Abfrage von Nachhaltigkeitspräferenzen“ in der Anlageberatung ergänzt. In der Zwischenzeit entstand – auch noch über den „Umweg“ einer DIN SPEC – die DIN 77223 „Risikoprofilierung für Privatanleger“ und die DIN 77235 „Risiko- und Finanzanalyse für Selbstständige, Freiberufler und KMUs“.

Alle diese Normen sind Standards für Prozesse an der Schnittstelle zwischen Verbrauchern einerseits sowie Beraterinnen und Vermittlern auf der anderen Seite. Sie geben den Verbrauchern Sicherheit, dass in der Finanzberatung so weit wie möglich nur ihre Interessen Berücksichtigung erfahren und nicht durch Eigeninteressen der Berater verfälscht werden. Diese Sicherheit hilft den Verbrauchern, ihren Beraterinnen und Beratern zu vertrauen, und letzteren auf der Basis dieses Vertrauens leichter nachhaltiges Geschäft zu machen.

Dass das so funktioniert, hat seinen Grund in den zentralen Dogmen der Normung. Das ist zum einen die zwingend erforderliche Mitwirkung aller von einer zur Erarbeitung anstehenden Norm Betroffenen, der – in der Normungssprache – interessierten Kreise. So haben auch an den genannten Normen in Summe – zeitweise und je nach Thema unterschiedlich – die Repräsentanten von mehr als 70 verschiedenen Unternehmen, Organisationen, Verbänden und Einrichtungen teilgenommen: aus Wissenschaft und Verbraucherschutz, aus Banken, Kapitalanlagegesellschaften und Versicherungen, aus Vertrieben, IT-Häusern und Akademien. 

Zum anderen ist da die Vereinbarung, alle Entwürfe und Dokumente im Konsens zu verabschieden. Das zwingt die Beteiligten dazu, alle Facetten, Ecken und Winkel jedes Themas zu betrachten und zu würdigen und gemeinsam zu einem von allen getragenen Ergebnis zu gelangen. Nirgendwo ist so viel Basisdemokratie, weil nirgendwo außer bei DIN nur Betroffene, aber eben auch Vertreter aller Betroffenen miteinander um Lösungen ringen. Genau so sind auch die genannten Normen entstanden.

Wir als Finanzbranche haben in den vergangenen 10 Jahren gelernt, Standards zu setzen. Und ganz viele finden Normen inzwischen gut auch für unsere Branche. Theoretisch. Auch das war nicht immer so. Der Lernprozess zu verstehen, dass Normen nicht in Schubladen, alles über einen Kamm scheren und die Zerstörung der Individualität sind, sondern ganz im Gegenteil Voraussetzung für das unverfälschte Herausarbeiten von Individualität, das Ermöglichen von massenweiser Individualität – mass customization – sind, ist nicht leicht. Und noch schwieriger ist es, die eingängigen Beispiele und Geschichten zu sammeln, die das auf den ersten Blick Unlogische verständlich und logisch werden lassen.

Die Durchdringung unseres Marktes mit den Normen, also die Umsetzung der Normen durch große Teile der Branche, ist uns bisher nicht gelungen. Das hat sicher seinen Grund darin, dass alle bisherigen Normen für die Finanzbranche nicht leicht umsetzbare technische Regeln sind, sondern an der schwierigsten Stelle ansetzen: bei den Gewohnheiten der Menschen. Sie wollen sich selbstbewussten Vertrieblern, die im Durchschnitt 54 Jahre alt sind und ihren Job seit Jahrzehnten mehr oder weniger erfolgreich nach ihren eigenen Regeln machen, nun als neue, bessere Regeln andienen. Da müssen viele Vorbehalte überwunden werden – ein langwieriger, aber nicht aussichtsloser Prozess.

Das Deutsche Institut für Normung hat das Potenzial der Normung für die Finanzbranche erkannt. Es hat – nach rund 10 Jahren zum ersten Mal wieder – eine neue „Fachabteilung“, den Normenausschuss Finanzen NAFin gegründet, der am 1. Januar 2024 seine Arbeit aufnehmen wird. In ihm werden alle genannten Normungsprojekte gebündelt mit auch, aber nicht nur, die Finanzbranche betreffenden Projekten aus den Bereichen IT und Anwendungen sowie Nachhaltigkeit.

Zugleich wurde bei der europäischen Normungsorganisation CEN in Brüssel der Antrag gestellt auf die Gründung eines dem NAFin entsprechenden Technical Commitees CEN/TC Finance. Von dort aus soll unter anderem auch dafür Sorge getragen werden, dass die immer stärker werdende europäische Regulatorik von den Normungs-, d. h. auch Selbstregulierungsbemühungen und -aktivitäten der Finanzbranche in Deutschland und Europa Kenntnis bekommt und diese positiv einbindet und nutzt. 

Es tat und tut sich also etwas in der Normung für die Finanzdienstleistungen. Fehlt nur noch eins, damit auf die Dauer nicht die Glaubwürdigkeit aller dieser Aktivitäten verloren geht: die Umsetzung der Normen durch ganz viele. Aber auch das werden wir schaffen.

Über Dr. Klaus Möller

Dr. Klaus Möller ist Vorsitzender des neuen DIN-Normenausschusses Finanzen (NAFin), Mitglied im Beirat des DIN-Normenausschuss Dienstleistungen (NADL) und im Vorstand DEFINO-Institut für Finanznorm.

Für mehr Informationen zum neu gegründeten NAFin

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