Text: Dr. Ullrich B. Stoll
Sie gehört zu den wichtigsten Zielen dieser und nachfolgender Generationen: die Begrenzung des Klimawandels. Sie ist eine gesellschaftliche Verpflichtung und fest im öffentlichen Diskurs verankert. Der Regierungswechsel in Berlin stellt in der Politik die klimapolitischen Weichen neu und auch in Brüssel ist der „Green Deal“ fest auf der europäischen Agenda etabliert. Doch was kommt von der Wirtschaft? Oft die Angst vor zu vielen regulatorischen Vorgaben und staatlichem Dirigismus. Dabei lassen sich Wettbewerbsfähigkeit und Innovationskraft mit den Herausforderungen des Klimaschutzes verzahnen. Ein verbindendes Element hierfür sind Normen und Standards. Diese gilt es im Schulterschluss zwischen Wirtschaft und Politik als Instrument zur Bekämpfung des Klimawandels zu nutzen und gemeinsam weiterzuentwickeln.
Der Schutz natürlicher Ressourcen ist eine der wichtigsten Aufgaben unserer Zeit. Wir alle fühlen uns diesem Ziel sowie einer Transformation unter der Ägide der sozialen Markwirtschaft verpflichtet. Und mit „alle“ meine ich ganz besonders auch Unternehmer*innen, die einen ganz besonderen Anteil am wirtschaftlichen Wohlergehen unserer Gesellschaft haben. Mit dem Klimawandel haben wir es mit einem Phänomen zu tun, das die Gesellschaft, Politik und Wirtschaft vor enorme Herausforderungen stellt. Er prägt nicht nur die politische Agenda, sondern unseren Alltag sowie die Zukunft der Menschheit. In all unseren Lebensbereichen werden die Karten neu gemischt. Auch Unternehmen stellen sich diesen Herausforderungen und begreifen sie – mit Mut und Zuversicht! – auch als Chance. Und sie müssen eine aktive Rolle in der Bewältigung der Klimakrise einnehmen, denn es gibt kaum einen Industriebereich, der nicht direkt oder indirekt vom Klimawandel betroffen ist.
„Die Aufgabe der Privatwirtschaft ist es, in Normung und Standardisierung mitzuarbeiten und sie aktiv mitzugestalten.“
DR. ULRICH B. STOLL
Die Kernfragen lauten: Wie gelingt es uns, die ambitionierten Klimaziele zu erreichen, ohne gleichzeitig unsere wirtschaftliche Basis zu beschädigen? Wie organisieren wir Klimaschutz so, dass er Wohlstand und Freiheit nicht gefährdet? Klar ist: Der Weg zu mehr Klimaschutz muss mit Konsequenz gegangen werden. Er muss aber machbar, technologieoffen und marktwirtschaftlich incentiviert sein, denn ohne eine leistungsstarke und effiziente Industrie wird es uns nicht gelingen, Wohlstand, Klimaschutz und soziale Sicherheit gleichermaßen sicherzustellen.
Von der Politik erwarten sich Unternehmer*innen dabei klare Vorgaben, die faire Wettbewerbsbedingungen ermöglichen sowie gleichzeitig die Eigeninitiative und Innovationskraft der Unternehmen und der ganzen Gesellschaft fördern. Eine Plattform, auf der solche Vorgaben zwischen allen relevanten Akteuren auf Augenhöhe gemeinsam erarbeitet werden, ist die Normung in den DIN-Gremien. Genauso wie wir unsere Normen und Standards permanent vor dem Hintergrund des technologischen Wandels weiterentwickelt haben, genauso müssen wir Klima- und Ressourcenschutz sowie ein nachhaltiges Handeln als notwendige Bedingung in der Normung berücksichtigen und bei DIN gemeinsam angehen. Normen und Standards müssen und können entscheidend zum Erreichen der Klima- und Nachhaltigkeitsziele beitragen. Dafür bedarf es der Anstrengung von uns allen. Weil dies eine globale Aufgabe ist, hat sich die internationale Normungscommunity in der London Declaration auch zur Zusammenarbeit bei der Bewältigung der Klimakrise bekannt. DIN wird diese Initiative maßgeblich mitgestalten und hat zusätzlich eigene Aktivitäten ins Leben gerufen. Dazu zählen etwa eine eigene DIN-Klimastrategie, ein Nachhaltigkeitsprojekt, bezogen auf die eigene Organisation, sowie die Koordination der Normungscommunitys in Themenfeldern wie „Circular Economy“ oder „Wasserstofftechnologien“ mit dem Ziel der Erarbeitung von Normungsroadmaps und deren gemeinsamer Umsetzung.
Klimawandel darf uns nicht handlungsunfähig machen.
Die Rolle der Unternehmer*innen dabei? Konstruktiv in der Normung und Standardisierung mitzuarbeiten und mitzugestalten. DIN ist mit über 36.000 Expert*innen aus mehr als 15.000 Unternehmen und Organisationen eines der größten Netzwerke der Welt. Normen und Standards sind die Basis für tragfähige und international wettbewerbsfähige Geschäftsmodelle, sie sind ein Pfeiler für Innovationskraft, sie sind ein tragendes Gerüst für unseren Wohlstand. Und sie können ein bedeutendes Gestaltungselement beim Kampf gegen den Klimawandel sein. Das gilt es zu nutzen. Denn: Beim Über- und Ausarbeiten von Normen und Standards werden Klimaschutz und Ressourceneffizienz zu wichtigen Leitgrößen. Deshalb ist es umso wichtiger, dass sich Unternehmen in den DIN-Gremien bzw. in den vorgelagerten Arbeitsgruppen zur Erarbeitung von Normungsroadmaps engagieren, ihre Expertise und ihr Fachwissen in die Diskussionen einbringen, gemeinsam an Lösungen arbeiten und zeigen, dass unternehmerisches Denken und Klimaschutz sich nicht ausschließen. Nur so wird es uns gelingen, die Spielregeln auf dem Weg zur Klimaneutralität mitzugestalten und der Privatwirtschaft einen Nährboden für Innovationen zu bereiten. Das kann mit Blick auf die internationale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen und europäischen Wirtschaft von entscheidender Bedeutung sein. Und es wird den Unternehmen ermöglichen, mehr Klimaschutzlösungen zu entwickeln, die das Potenzial zum internationalen Exportschlager aufweisen.
Mittlerweile ist auch das Bewusstsein für Veränderungen in der Gesellschaft gegeben. Die Normung ist unser aller Chance, vielfältiges Know-how zur Bewältigung des Klimawandels einzubringen und gemeinsam an Lösungen zu arbeiten. Als Unternehmer*innen und Vertreter*innen der Privatwirtschaft sollten wir diese Chance nutzen und aktiv werden. Wir können Klimaschutz zu einer Innovations- und Wachstumsagenda machen – durch Verzicht lässt sich das Weltklima nämlich nicht retten. Und wir sollten das tun, bevor der Klimawandel uns das Heft des Handelns aus der Hand nimmt.
Über Dr. Ulrich B. Stoll
Dr. Ulrich B. Stoll wurde vom DIN-Präsidium zum neuen Präsidenten des Deutschen Instituts für Normung e.V. gewählt. Der stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende der Festo SE & Co. KG ist seit 19. November 2021 im Amt.