Text: Christopf Winterhalter
Dürre, schmelzende Gletscher, Wetterkapriolen: Die Erde zeigt uns, wie verschwenderisch wir mit ihren Ressourcen umgegangen sind. Wir denken um, gehen erste Schritte. CO2-Reduktion, Energieeinsparung und optimierte Wertschöpfungsketten dank Digitalisierung markieren den richtigen Kurs. Noch müssen wir deutlich an Fahrt gewinnen, Tempo machen. Eine funktionierende Kreislaufwirtschaft wäre ein probates Mittel für mehr Nachhaltigkeit.
Vermutlich verbinden nur wenige das Thema Normung mit Nachhaltigkeit. Ein Trugschluss. Normen haben aufgrund ihrer breiten Akzeptanz und Anwendung großes Potenzial, Nachhaltigkeit zu fördern. Und sie sind ein Schlüssel zur Kreislaufwirtschaft – für mich einer der Treiber für mehr Klima-schutz und besseres Ressourcenmanagement. Mit dieser Einschätzung befinde ich mich in guter Gesellschaft. Ende August sagte Peter Kurth, Präsident des Bundesverbands der Deutschen Entsorgungs-, Wasser- und Rohstoffwirtschaft (BDE), dem Handelsblatt: „Was wir brauchen, ist eine konsequente Kreislaufwirtschaftspolitik.“ Bisher bleibt deren Potenzial weitgehend ungenutzt. Aus Gründen. „Eine funktionierende Kreislaufwirtschaft“, schreibt das Handelsblatt, „würde voraussetzen, dass Hersteller schon bei der Produktidee und der Konzeption auf die spätere Recyclingfähigkeit ihrer Produkte achten und auf Verbundmaterialien weitestgehend verzichten.“ Diese Erkenntnis muss sich allerdings erst flächendeckend durchsetzen. Noch stehen wir ganz am Anfang.
„Bei der Kreislaufwirtschaft müssen wir deutlich an Fahrt gewinnen.“
CHRISTOPH WINTERHALTER
Auf den richtigen Kurs führen uns Normen und Standards. Schon heute gibt es eine Vielzahl von Normungsbereichen, in denen Aspekte der Nachhaltigkeit nicht nur berücksichtigt werden, sondern eine übergeordnete Rolle spielen. Sie reichen von klassischen Umweltthemen, wie der ISO 14000er-Reihe zum Umweltmanagement, über Finanzwirtschaft oder Bauen bis hin zur Barrierefreiheit. Normen, wie etwa die DIN EN ISO 50001 zum Energiemanagement, unterstützen dabei, Energie einzusparen, und tragen so zur Einsparung von Treibhausgasemissionen bei. Seit einigen Jahren befassen sich internationale Gremien auch mit der Anpassung an die Folgen des Klimawandels. Die Veröffentlichung einer ersten Norm mit Grundsätzen, Anforderungen und Leitlinien (DIN EN ISO 14090) wird noch für 2019 erwartet.
Ein Leuchtturm bei DIN ist die „Circular Economy“ – die Kreislaufwirtschaft. Dahinter steckt das Ziel, ein System geschlossener Kreisläufe aufzubauen sowie Produkte und Ressourcen bestmöglich entlang der Wertschöpfungskette zu nutzen. Wirtschaften im Kreislauf bedeutet, Ressourcen möglichst lange wiederzuverwenden, Abfall zu vermeiden, langlebige Produkte zu entwickeln und am Ende des Lebenszyklus alles konsequent zu recyclen. Benjamin Hein ist als Geschäftsfeldentwickler Kreislaufwirtschaft erster Ansprechpartner für dieses Thema bei DIN und kümmert sich seit dem 1. August um die Vernetzung der bereits aktiven Stakeholder mit neuen Expertenkreisen, um so auch zusätzlich die Kundenperspektive auf die Kreislaufwirtschaft zu stärken. Zum Thema „Circular Economy“ wurde kürzlich das internationale technische Komitee ISO/TC 323 gegründet. Hier, wie auch im DIN-Arbeitskreis „Circular Economy“, sollen Normen zur Erarbeitung von Anforderungen, Rahmenbedingungen, Leitlinien und Hilfsmitteln im Zusammenhang mit Kreislaufwirtschaftsprojekten erarbeitet werden. Auf europäischer Ebene gibt es zudem diverse Projekte, in denen die Normungsorganisationen eng mit der Europäischen Kommission zusammenarbeiten. Ein Beispiel ist die Erarbeitung von Normen zur Materialeffizienz für energierelevante Produkte.
„Nachhaltige Entwicklung ist eine Gemeinschaftsaufgabe“
CHRISTOPH WINTERHALTER
Aber: Normung erfolgt nicht im isolierten Raum. So wie die nachhaltige Entwicklung ist auch Normung eine Gemeinschaftsaufgabe, deren Bewältigung Partnerschaften bedarf. Das Normungssystem basiert auf der Beteiligung aller Stakeholder, nicht nur der Wirtschaft oder der Wissenschaft und Forschung, sondern auch des Umwelt- oder Verbraucherschutzes und der öffentlichen Hand. Entscheidungen sollen im Konsens getroffen werden und es gibt Mechanismen, die sicherstellen, dass die Bedürfnisse aller Marktteilnehmer Berücksichtigung finden können.
DIN legt zudem großen Wert auf eine partnerschaftliche Zusammenarbeit mit der Politik. Denn Normen entlasten und unterstützen die staatliche Regelsetzung. In vielen Rechtsbereichen – beispielsweise im Umweltrecht – ist eine regelrechte Symbiose aus Gesetzen und technischen Regeln entstanden. Diese erfolgreiche Zusammenarbeit gilt es, zu bewahren und im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung fortzuführen.
Christoph Winterhalter
ist Vorstandsvorsitzender von DIN und seit Januar 2022 zusätzlich Vice President Policy der internationalen Normungsorganisation ISO.