Die Baustoff-Detektive
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Das Unternehmen Concular setzt sich für die Zweitverwertung von Baustoffen und die Kreislaufwirtschaft am Bau ein. Von der Digitalisierung des Verbauten Materials über den Rückbau bis hin zur Prüfung und zum Wiedereinbau unterstützt Concular dabei verschiedene Projekte.

Es steckt unglaublich viel Substanz in Gebäuden, deren Sanierung sich nicht mehr rechnet. Aber was dominiert in der Realität: Abrissbirne und Abfallcontainer. Dabei können mit einer gezielten Wiederverwertung der Bausubstanz wertvolle Ressourcen gespart werden. Das Startup Concular stellt die Branche auf den Kopf hat ein ganzheitliches digitales Ökosystem realisiert, das Wertstoffkreisläufe schließt.

Dominik Campanella und seine Mitstreiter Marc Haines und Julius Schäufele sind beileibe keine Rookies in Sachen Weiterverwendung von Baumaterialien. 2014 brachten sie das Portal Restado als digitalen Marktplatz für übriggebliebene Baustoffe ans Netz. Obwohl nur im Nebenerwerb betrieben, ist die Plattform heute die größte in Europa. Zeit für den nächsten Schritt im Januar 2020. Nicht nur Angebot und Nachfrage synchronisieren, sondern auch befüllen lautete das Credo. Mehr als 100 Gespräche mit Stakeholdern in der Branche signalisierten klar: es braucht eine ganzheitliche Plattform für eine funktionierende Kreislaufwirtschaft am Bau. Keimzelle für Concular. Zum Start kam noch Annabelle von Reutern hinzu, verantwortlich für Business Development und neben Haines die zweite Architektin im Boot der Leitungscrew.

Ausgelegt als Software-as-a-Service-Plattform (SaaS) ist eine App der Schlüssel zur ganzheitlichen Lösung für Kreislaufwirtschaft in der Baubranche. Dominik Campanella, Mitgründer und CEO von Concular, erklärt: „Nach den Prinzipien der Circular Economy begleiten wir den gesamten Prozess von der Digitalisierung des verbauten Materials über den Rückbau, die Qualitätsprüfung bis hin zum Wiedereinbau.“ Die Liste der Vorzeigeobjekte ist lang: Alte Stadtbücherei in Augsburg, FAZ-Campus in Frankfurt, Kö21 in Düsseldorf, Siemens Tagungszentrum in Feldafing, Karstadt Hermannplatz in Berlin oder der Umbau der Haupttribüne in der Mercedes Benz Arena Stuttgart. Beispiele, die Schule machen, weil überall das Re-Use-Potenzial ausgeschöpft wurde.

 

Besonders alte Baustoffe wie Ziegelsteine im Reichsformat oder gebrauchte Türen, Fenster und Rasterdecken sind Selbstläufer bei Concular. Die meisten Baustoffe lassen sich recyclen und für gut erhaltene Einrichtungsgegenstände ist der Gebrauchtmarkt riesig.
Gebrauchte Baustoffe müssen vor der Rückführung in den Verwertungskreislauf durch Concular dokumentiert, katalogisiert und mit entsprechenden Daten versehen werden.

Noch ist zirkuläres Agieren im Bau Zukunftsmusik. Das hält das Team von Concular aber nicht auf, akribisch den Altbestand in renommierten Projekten zu klassifizieren. Denn selbst bei jungen Altbauten nach Einführung des Bautagebuchs 1996 fehlen valide Daten für eine geordnete Wiederverwendung. Mit Blick nach vorne hilft das Building Information Modelling – kurz BIM. Schon ab der Projektierung werden alle Daten rund um das Objekt in ein BIM-Modell übernommen. So hat auch das Facility Management in der anschließenden Bewirtschaftung alle erforderlichen Informationen. Deshalb ist es wichtig, weiter BIM in die Praxis zu bringen, damit die Informationen, die jetzt in mühevoller Handarbeit in Bestandsimmobilien aufgenommen werden, den Beteiligten direkt digital zur Verfügung stehen. Das erfordert Mut, ist aber eine Investition in die Zukunft. Und das ermöglicht es letztlich auch, die Gebäude nachhaltig zu betreiben.

Bis dato ist Detektivarbeit gefragt, vor Ort im Objekt. Zunächst wird per Laser das Aufmaß adjustiert. Dann folgen fachmännische Gutachten und Kernbohrungen zur Analyse kritischer Materialien. Normteile wie Fenster und Türen werden beurteilt. Selbst der Handlauf einer Treppe kann durchaus wiederverwendet werden. Und manchmal finden sich verborgene Schätze. Beispielsweise drei Raummeter Klinker hinter einer blassen Gipskartonwand oder gut erhaltene Granitplatten unter einem zerschlissenen Teppichboden. Steine, mit denen und auf die man bauen kann. Für Projektentwickler*innen und Bestandshalter*innen bietet Concular die Messung und Reduzierung von Emissionen und Abfällen sowie der Kosten, die beispielsweise bei der Entsorgung entstehen. Diese entfallen komplett auf Baustoffe, die über Conculars Match-Making und Wertschöpfungsketten wieder eingebracht werden.

Die Aufarbeitung des Alten und die Neustrukturierung der Zukunft liegen Campanella gleichermaßen am Herzen: „Wir gehen den Themenkomplex mit viel intrinsischer Motivation an und wollen die Welt tatsächlich ein Stück weit besser machen.“ Deshalb engagiert sich das Team von Concular auch intensiv rund um Normen und Standards. Drei Teammitglieder haben sich an der Erarbeitung der Normungsroadmap Circular Economy bei DIN beteiligt. Für Dominik Campanella ist die Roadmap ein wichtiger Schritt in Richtung Kreislaufwirtschaft und ein dringend benötigter Fahrplan. Dazu gehört für ihn auch ein Blick in den Bestand von DIN: „Ich denke, dass es gut wäre, einige bestehende Normen zu überarbeiten oder vielleicht ganz zu streichen. Damit die Kreislaufwirtschaft weiter vorankommt.“ Die Normungsroadmap gibt auch dazu Empfehlungen.

„Ohne Bauwende wird es keine Klimawende geben. Das zirkuläre Bauen und der Einsatz von vorhandenen Ressourcen aus bestehenden Objekten werden die Branche dorthin bringen.“

DIN SPEC initiiert

Weiter voran – das steckt auch hinter dem Engagement für die von Concular initiierte DIN SPEC für einen zirkulären und ressourcenschonenden Rückbau. Der Standard DIN SPEC 91484 wird mit mehr als 30 führenden Akteur*innen der Baubranche entwickelt. Er definiert eine einheitliche Methode zur Aufnahme von Baumaterialien und -produkten in Gebäuden, um diese wieder einem Kreislauf zuzuführen. Bislang ist es so, dass es noch an einheitlichen und standardisierten Prozessen mangelt. Um das Wiedereinbringungspotenzial eines Baumaterials zu erfassen, benötigt es funktionierende Methoden für alle Mitwirkenden der Wertschöpfungskette. Ein Fehlen klarer Richtlinien erschwert die konkrete Umsetzung neuer Vorschriften und verhindert, dass die Wirtschaft über eine ausreichende und einheitliche Datentiefe zu den Materialien verfügt. Mit der neuen DIN SPEC 91484 soll deshalb genau dieses Verfahren zur Erfassung von Baumaterialien und -produkten in Gebäuden entwickelt werden. Das Ziel: alle Marktteilnehmende sollen über eine einheitliche Datentiefe an allen Stellen der Wertschöpfungskette verfügen. Dadurch soll die erneute Nutzung von Baumaterialien und somit der Materialkreislauf gefördert werden.

Die DIN SPEC ist auf dem Weg und soll Mitte 2023 veröffentlicht werden. Auf die Frage, ob mit der Gremienarbeit nicht wertvolles Know-how geteilt wird, hat Dominik Campanella eine klare Antwort: „Der Markt ist so groß, da freuen wir uns über jeden Mitbewerber, der für unsere Sache einsteht. Es braucht das Teilen von Wissen, um Schnittstellen zu definieren und den Kreislauf zu schließen. Normen und Standards unterstützen als Instrument dabei.“

Frappierende Fakten

Die Zahlen lassen aufmerken: 60 Prozent der deutschen Abfälle kommen aus dem Bausektor, weltweit trägt die Branche zu rund 40 Prozent zum CO2-Ausstoss bei. Zeit zum Handeln! Weg von der linearen Denke hin zur Kreislaufwirtschaft. Die ersten Schritte sind gemacht.

Quelle: Umweltbundesamt

Auf ein Wort Herr Campanella!

Herr Campanella, Sie und ihre Mitstreiter*innen arbeiten mit viel Motivation am Thema Kreislaufwirtschaft. Was ist Ihre Mission?
Wir wollen nicht zuschauen, sondern was bewegen. Angesichts der Ressourcenknappheit müssen wir die Schätze bergen, die vor unserer Nase liegen – ob innerstädtisch im Altbau oder auf der Industriebrache im Gewerbegebiet. Städte sind ein riesiges Materialreservoir für die Bauindustrie.

Geht es so voran, wie Sie sich das vorstellen?
Durchaus, wir haben mit zahlreichen Referenzprojekten die Tür ganz weit aufgemacht. Zusammen mit DIN, DKE und VDI sind wir außerdem dabei, Standards für eine zirkuläre Wirtschaftsordnung zu schaffen. Zumal sich die ökologischen Vorteile aus Cradle to Cradle nicht nur rechnen, sondern auch den CO2-Ausstoss drastisch reduzieren – ein wesentlicher Beitrag zum Klimawandel. Was für ein Gewinn, wenn in einem Projekt verwendete Materialien mindestens einen Lebenszyklus durchlaufen haben, entweder in gleicher oder in einer anderen Form. Mit unserem Service Concular Matching ist die Vermittlung bereits möglich, während das Material noch verbaut ist. Das senkt Kosten und Risiken für den Verkauf und etwaige Zwischenlagerung. Mit unserem Konzept haben wir es geschafft, eine effiziente End-to-End-Lösung zu etablieren, die projektbegleitend, digital und kollaborativ Materialkreisläufe im Gebäudesektor schließt.

Was macht Conclular besonders?
Wir sind das derzeit einzige Ökosystem, das Kreislaufwirtschaft holistisch abbildet. Von Projektentwickler*innen, Bestandshalter*innen, Städten und Kommunen, Bauunternehmen und Herstellern bis Handwerker*innen, Forschende und Designer*innen – Concular ermöglicht zirkuläres Bauen, indem wir Menschen in einer kreislaufgerechten Wertschöpfungskette verbinden. Heute geht es darum, Altbestand aufzuarbeiten, gleichzeitig legen wir die Grundlage, dass der Kreis sich schließt. Unser leidenschaftliches interdisziplinäres Team aus Architekten, Bausachverständigen und IT-Expert:innen ist dafür die Basis.

Leuchtturmprojekte

  • Beim Rückbau des 50 Jahre alten Siemens Tagungszentrums am Starnberger See überführt Concular wiederverwendbare Materialien, Gebäudeelemente und Teile der Einrichtung wieder in den Kreislauf – und davon können viele profitieren. Anstelle des ursprünglichen Gebäudes soll dann bis 2026 ein nachhaltiger Neubau in umweltfreundlicher Massivholzbauweise entstehen.

  • Wo derzeit täglich die Frankfurter Allgemeine Zeitung gedruckt wird, rollen in einem knappen Jahr die Bagger an: Die FAZ verlegt ihren Hauptsitz. Um Ressourcen, CO2 und Abfall zu sparen, setzt sich Concular dafür ein, dass alle Räumlichkeiten des Gebäudes selektiv werterhaltend rückgebaut werden. Concular und hat dafür das Bestandsgebäude digitalisiert, um die Materialien wieder in einen Kreislauf zu bringen. Diese sind im Online-Shop des Unternehmens erfasst und stehen nun zum Verkauf. Weil dieses Projekt sowohl das ehemalige FAZ-Redaktionsgebäude als auch das benachbarte Hochhaus umfasst, bieten beide Gebäude unterschiedlichste Materialien und Produkte. Der von Concular veröffentlichte Produktkatalog bietet daher alles von Naturbaustoffen, wie der Ziegelfassade bis hin zu modernen Stahlkonstruktionen.

  • Der Umbau der Haupttribüne der Mercedes-Benz Arena in Stuttgart stand auf der Agenda, um die Anforderungen der Europameisterschaft 2024 bestmöglich zu erfüllen. Hierzu wurden Teile der Haupttribüne entkernt und abgebrochen. Dabei fielen zahlreiche Materialien mit hohem Reuse-Potential an. Im Rahmen eines Circularity Assessments identifizierte Concular zahlreiche wiederverwendbare Materialien: Fassaden, Glasgeländer, Schlossergeländer, Türen, Theken, Leuchten, WC-Trennwände, aber auch Tribünenstühle und Fenster. In der darauffolgenden Vermittlungsphase konnte ein großer Teil dessen extern vermittelt werden. Mit so manchem Schnäppchen für die Fans des VfB Stuttgart.

Gut zu wissen: Stichwort Urban Mining

Der Wert der Sekundärrohstoffe, die in riesigen Mengen in urbanen Abbruchgebäuden stecken, ist beeindruckend. Urban Mining will dies erfassen und verstärkt für den Neubau nutzen. Aus Bauschutt wird Rohstoff – egal ob es sich um Beton, Mauerwerk oder um Holz oder Metalle handelt. Die Agenda des „städtischen Bergbaus“ regt dazu an, Abbruchgebäude als Lagerstätten für langlebige Güter wahrzunehmen, aus denen sich große Mengen wertvoller Sekundärrohstoffe bergen lassen. Das Umweltbundesamt bezeichnet solche anthropogenen Lager auf seiner Website als eine Schatzkammer für die Deckung künftiger Rohstoffbedarfe. Sekundärrohstoffe sollen im Sinne einer nachhaltigen Kreislaufwirtschaft wiederverwendet werden. Je mehr das gelingt, umso stärker lässt sich künftig die Ausbeutung von Primärrohstoffen aus natürlichen Lagerstätten begrenzen. Nach Angaben des Umweltbundesamtes ist die Produktion von hochwertigen Recycling-Baustoffen zunächst einmal teurer als aufbereitungsärmere Entsorgungsoptionen oder Downcycling aber mit positivem Effekt auf die Klimabilanz.

Zahlen, die verblüffen

Das Umweltbundesamt veröffentlich auf seiner Website interessante Zahlen. Zahlen, die zeigen, wie wichtig eine funktionierende Kreislaufwirtschaft für die Zukunft ist.

  • So setzt die deutsche Volkswirtschaft jährlich rund 1,3 Milliarden Tonnen Materialien im Inland ein – meist verbaut in Infrastruktur und Gebäuden.
  • 50 Milliarden Tonnen wertvollem Material schlummern im Bestand. Rohstoffquellen, die es zu erschließen gilt. Ressourcen vor unserer Haustür.
  • Keine Fahrt zwischen Steinbruch und Baustelle – statt 30 bis 50 Kilometer Anfahrt sind Gesteinskörnungen aus dem Rückbau vor Ort verfügbar.
  • Mehr als 200 Millionen Tonnen mineralischer Bauabfälle fallen pro Jahr in Deutschland an.
  • Was für ein Potenzial: Der Goldanteil eines durchschnittlichen Mobiltelefons entspricht dem von 16 Kilogramm Golderz.

Normungsroadmap Circular Economy

Die Normungsroadmap von DIN, DKE und VDI gibt einen Überblick über den Status Quo der Normung im Bereich Circular Economy, beschreibt Anforderungen und Herausforderungen für sieben Schwerpunktthemen und formuliert konkrete Handlungsbedarfe für künftige Normen und Standards. Das Produkt von heute ist der Rohstoff von morgen, so lautet das Credo. Damit neue Geschäftsmodelle in der Circular Economy Anwendung finden, benötigen sie Normen und Standards als Grundlagen, denn diese geben allen Stakeholdern eine gemeinsame Sprache und stellen damit eine klare Kommunikation und einen geeigneten Informationsaustausch zwischen den verschiedenen Marktakteuren im Kreislauf sicher.

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