Resilienz, Rendite und Recycling
Ausgabe
13 min

Unsere Rohstoffe, Energie und Waren kommen aus allen Ländern dieser Welt. Das macht widerstandsfähige Lieferketten zum erfolgskritischen Faktor für Wirtschaft und Politik.

23. März 2021, morgens 7:40 Uhr: Eine Windbö erfasst die aus 18.300 Containern bestehende vierhundert Meter lange Metallwand und drückt die „Ever Given“ langsam, aber unerbittlich Richtung Ufer. Der Kapitän steuert nicht rechtzeitig gegen und damit die gesamte Weltwirtschaft in eine Krise. Minuten später ist der Suezkanal blockiert – und damit der kürzeste Seeweg zwischen Asien, dem Nahen Osten und Europa. Zwölf Prozent des weltweiten Seeverkehrs passiert das Nadelöhr zwischen Sues und Port Said. Das entspricht Waren im Wert von rund zehn Milliarden Dollar – pro Tag. Die Folgen waren und sind langfristig spürbar. So drängelten sich nach Auflösung des Staus zahlreiche Schiffe später in ihren jeweiligen Zielhäfen. Auf diesen Ansturm waren auch nachgelagerte Logistiksysteme wie der Schienenverkehr nicht vorbereitet, was zu weiteren Verzögerungen führte. Erdöl, Motoren und Solarmodule erreichten nicht rechtzeitig die empfindlichen Just-in-time-Workflows in Europa. Infolgedessen stiegen nicht nur weltweit die Frachtkosten, es wurden auch rund um den Globus bestehende Lieferketten-Konzepte infrage gestellt.

Resilienz für Logistik

Wenn eine einzige Windbö Raffinerien in Rotterdam und Autobauer in Süddeutschland an die Wand drückt, ist Handeln angesagt. Zumal die „Ever Given“ zwar eine dramatische Situation für die Weltwirtschaft war, andere Bedrohungen sind aber weitaus größer. Seit Jahren nehmen die Belastungen für unsere Lieferketten zu: angefangen von den Verwerfungen der Corona-Krise bis hin zu Spannungen im internationalen Handelsgefüge, ausgelöst durch den Ukraine-Krieg. Insgesamt betrachtet sind wir in der Energieversorgung abhängig von Russland, im Sicherheitsbereich von den USA und in puncto Absatzmärkten, Zulieferern und Wachstum von China.

Global wird der Druck auf die Lieferketten durch den Global Supply Chain Pressure Index (GSCPI) sichtbar. Dieser Index wurde von der Federal Reserve Bank of New York entwickelt und berücksichtigt 27 Variablen, die Einfluss auf die internationalen Lieferketten ausüben. Diese umfassen beispielsweise die Rohstoff- und Energiepreise, politische Ereignisse und Naturkatastrophen, das Konsumverhalten in den Vereinigten Staaten und Europa sowie Produktions- und Logistikkosten. Damit bildet der Verlauf den konsolidierten Einfluss ausgewählter Parameter auf unsere Lieferketten ab: vom Erdbeben in Fukushima über Hurrikane in Südamerika bis hin zu Covid und dem Krieg in Europa.

Lieferketten-Index

Der Global Supply Chain Pressure Index (GSCPI) ist ein Maß für den Druck in den weltweiten Lieferketten. Je höher die Werte, desto mehr Druck für die Lieferketten. Niedrige Werte bedeuten nicht automatisch, dass die Wirtschaft gut läuft. Sie zeigen nur, dass die Lieferketten funktionieren. Das tun sie aber auch in Zeiten der Rezession.

Quelle: Federal Reserve Bank of New York, Global Supply Chain Pressure Index (GSCPI)

Internationale Lieferketten werden nicht mehr als selbstverständlich vorausgesetzt.

Von den Krisen der Lieferketten sind Branchen in Deutschland betroffen, die als Abnehmer und/oder Anbieter von internationalen Partnern und Märkten abhängen. Mit anderen Worten: nahezu alle industriell geprägten Bereiche. Die Bandbreite reicht vom Maschinenbau bis zum Automobilbau, vom Chemie-Sektor bis hin zur Landwirtschaft. Und abweichend von früheren Krisen, die durch kurzfristige Lieferverzögerungen abgefedert werden konnten, ist das Leiden der Lieferketten inzwischen auch für Endverbrauchende spürbar: Fehlende Mikrochips verzögern die Auslieferung von Pkws und Waschmaschinen, in Möbelgeschäften und Baumärkten sind monatelang ganze Produktgruppen ausverkauft und manche Medikamente sind derzeit nur schwer erhältlich. Die Mängelliste reicht von Antibiotika bis Zäpfchen.

Unter dem Strich kosteten Lieferengpässe die deutsche Industrie von Anfang 2021 bis Mitte 2022 rund 64 Milliarden Euro, rechnet eine Studie des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung vor. Laut der Studie hätte das deutsche Bruttoinlandsprodukt um 1,5 Prozent höher ausfallen können.

Die Zeichen stehen auf Sturm

Auch wenn der Druck derzeit etwas nachlässt: Der verstärkte Fokus auf die Resilienz der Lieferketten verändert langfristig bisherige Globalisierungsstrategien. Internationale Lieferketten werden nicht mehr als selbstverständlich vorausgesetzt und geraten zunehmend in den Fokus des Managements. Widerstandsfähigkeit wird wichtiger als Wirtschaftlichkeit, Resilienz schützt Rendite. Wobei Resilienz zwei Dimensionen besitzt: einerseits die Widerstandsfähigkeit gegen Störungen und deren Auswirkungen auf die eigene Wertschöpfung. Andererseits die Fähigkeit zur Wiederherstellung, sollte die eigene Supply Chain doch beeinträchtigt worden sein.

Herausforderungen drohen überall

Störungen lauern an allen Ecken und Enden der Lieferketten und reichen von Naturkatastrophen bis hin zu wirtschaftlichen Faktoren. Dazu kommen biologische Faktoren wie eine Pandemie oder politische Ereignisse wie ein (Handels-)Krieg. Und nicht zuletzt bedrohen aktuell auch Logistik-Defizite wie mangelnde Container und Paletten sowie unzureichende Transportkapazitäten vor allem auf der Schiene die Lieferketten von Unternehmen – ganz zu schweigen von Cyber-Angriffen. Die meisten dieser Bedrohungen kommen ohne lange Vorwarnung und lassen sich nicht im Vorfeld prognostizieren. Der Wegfall der russischen Gas-, Öl-, Stahl- und Kohle-Lieferungen beispielsweise hat Politik und Wirtschaft erkennbar auf dem falschen Fuß überrascht.

Die Perlen einer Lieferkette

Zu einer Lieferkette gehören sämtliche Stakeholder, die zur Erzeugung eines Produktes, seiner Anwendung und der Verwertung nach der Nutzung beitragen. Dazu zählen neben den eigenen Lieferanten auch deren Vorlieferanten. Je nach Komplexität des Produktes können mehrere Tausend Unternehmen zu einer Lieferkette gehören. Beispiel Maschinenbau: Wichtige Akteure in der Kette sind u. a. Industriedesigner*innen, Maschinenbauer*innen, Logistik- und Sicherheitsunternehmen sowie das Verkaufspersonal bis hin zu Bergbau-Arbeiter*innen ganz am Anfang der Lieferkette. Alle beeinflussen die Lieferkette, aber nicht jeder davon kann sie zum Erliegen bringen. Besonders Rohstoff-Lieferanten, Logistik-Unternehmen oder Mikrochip-Fabriken reagieren sensibel auf Störungen.

Ersatzbeschaffung

Laut einer Umfrage der Deutschen Industrie- und Handelskammer DIHK ist ein Rückzug aus globalen Zuliefer- und Absatzmärkten für die große Mehrheit der deutschen Unternehmen derzeit kein Thema; zu sehr sind sie auf die internationale Vernetzung angewiesen. Ungefähr jedes dritte Auto von BMW, VW und Mercedes wird inzwischen in China verkauft, jede zweite Maschine innerhalb der EU – ganz zu schweigen von dringend benötigten Rohstoffen und Energieträgern aus dem Ausland. Ein kompletter Rückzug aus Märkten mit hohen politischen Risiken wird deshalb laut der DIHK-Umfrage nur von rund 20 Prozent der deutschen Firmen geplant. Vielmehr reagieren die Mehrzahl der Manager*innen zuerst einmal mit einem Ausbau der eigenen Lagerbestände und/oder mit der Suche nach alternativen Beschaffungsquellen – zum Beispiel über Broker oder Beschaffungs-Plattformen.

Solche Ad-hoc-Maßnahmen lösen allerdings keine grundlegenden Probleme und sind darüber hinaus mit zusätzlichen Kosten verbunden. Eine Studie von McKinsey empfiehlt als mögliche Alternative beispielsweise Nearshoring. Dies sei „mittelfristig ein Schlüsselfaktor für Resilienz“ bewerten die Beratenden von McKinsey. Nach dieser Analyse haben seit der Corona-Krise aber erst elf Prozent der deutschen Unternehmen eine geographische Neuausrichtung umgesetzt, 42 Prozent haben dagegen als erste Maßnahme nur die Lagerbestände aufgestockt.

Die Kraft der Normen

Bei der Prüfung neuer Partner und Produkte helfen Standards und Normen. Sie bauen Vertrauen auf und funktionieren wie eine gemeinsame Sprache auf dem globalen Markt. Ihre Anwendung erleichtert den Marktzugang für Produkte und Dienstleistungen. Die Ergebnisse einer Studie zum Nutzen der Normung belegen: Europäische und internationale Normen unterstützen 84 Prozent der produzierenden Unternehmen in Deutschland beim globalen Marktzugang.

Die „Mutter aller Normen für Managementsysteme“, die ISO 9001, legt beispielsweise Mindestanforderungen für die Qualitätspolitik und Qualitätsziele, für interne Audits und das Management Review fest.

Die Politik definiert notwendige Vorgaben und erlässt Gesetze: beispielsweise mit dem aktuellen Lieferkettengesetz und dem daran anschließenden Digitalen Produktpass.

Das Lieferkettengesetz trat am 1. Januar 2023 in Kraft und verpflichtet deutsche Unternehmen durch bestimmte Sorgfaltspflichten zur Achtung von Menschenrechten und Umweltschutz. Dazu gehören beispielsweise die Einrichtung eines Risikomanagements, um Defizite überhaupt erst zu identifizieren. Diese Pflichten umfassen nicht nur den eigenen Geschäftsbereich, sondern auch das Handeln von Vertragspartnern und mittelbareren Zulieferern. Damit endet die Verantwortung nicht mehr am eigenen Werkstor, sondern umfasst weite Teile der Lieferkette. Das Gesetz gilt zunächst für Unternehmen mit mindestens 3.000 Arbeitnehmer*innen, ab 2024 auch für mittlere Unternehmen ab 1.000 Mitarbeitenden.

Der Digitale Produktpass soll darüber hinaus zukünftig alle Produktinformationen von den Rohstoffen bis zu den Recycling-Möglichkeiten bündeln. Die Daten werden dann allen Unternehmen und Verbraucher*innen zur Verfügung stehen – entweder als zentrale Datenbank oder in Form eines dezentralen Blockchain-Netzwerks. Die EU plant in ihrem Green Deal die Einführung bis spätestens 2030.

Rund 3,6 Mio. Lkw bewegen mehr als 70 Prozent des Güterverkehrs in Deutschland – nur drei Prozent davon sind bislang E-Fahrzeuge.

Firefighting versus Troubleshooting

Ob Nearshoring, Risikomanagement, Lieferkettengesetz oder Produktpass: Voraussetzung für zielführende Maßnahmen ist eine Digitalisierung des gesamten Workflows. Erst der digitale Zwilling über die gesamte Lieferkette hinweg bietet genügend Transparenz für die Analyse der eigenen Logistik-Prozesse. Die Daten dazu liefern moderne Sensor-Systeme, die direkt an der Ware oder im Transport-Container angebracht werden können. Sie kommunizieren in Echtzeit den Standort sowie ggf. weitere Parameter wie Temperaturverlauf und Erschütterungen.

Auf dieser Datenbasis kann das tatsächliche Eingangsdatum unbeschädigter Ware vorhergesagt und ggf. Ersatzbeschaffungen in die Wege geleitet werden – ohne dass dafür Logistikpartner kontaktiert werden müssen. Das erlaubt eine höhere Reaktionsfähigkeit für alle nachfolgenden Prozessschritte. Mit den noch überall verwendeten papierbasierenden Systemen ist dies dagegen frühestens nach der Kommissionierung im Wareneingang möglich.

Fern und Nah: Offshoring und Reshoring

Offshoring steht für die Verlagerung unternehmerischer Funktionen und Prozesse ins Ausland. Auslöser für Offshore-Entscheidungen sind zumeist günstigere Rahmenbedingungen. Dazu zählen insbesondere Arbeitskosten und Abgaben sowie eine vereinfachte Personalsuche oder auch die bürokratischen Vorgaben eines Landes.

Zum Offshoring gehören:

Farshoring: die Auslagerung von Prozessen und Ressourcen ins weit entfernte Ausland; von Deutschland aus gesehen beispielsweise China oder Indien.

Nearshoring: die Verlagerung von Geschäftsaktivitäten in benachbarte Länder. Für Europa sind dies zuerst einmal unsere östlichen Nachbarn, für Nordamerika beispielsweise Mexiko und Brasilien

Im Zuge der Deglobalisierung werden zunehmend Rückverlagerungen (Reshoring) diskutiert. Unternehmen erwarten dadurch unter anderem eine effizientere Koordination, bessere Kontrollmöglichkeiten oder auch den Wegfall von Sprach- und Zeitbarrieren.

Zum Reshoring gehören:

Friendshoring: die Verlagerung von Lieferketten in vertrauenswürdige Länder, die beispielsweise ein gemeinsames Rechtsverständnis aufweisen.

Onshoring: die Verlagerung unternehmerischer Funktionen und Prozesse innerhalb des Herkunftslandes, meist nahe beim Auftraggeber. Großunternehmen bestehen beispielsweise oft auf räumliche Nähe ihrer Lieferanten und Partner.

In einer McKinsey-Studie berichten die für Lieferketten verantwortlichen Manager*innen, dass durchstrukturierte Supply Chains zu einer verbesserten Produktivität geführt haben. 93 Prozent der Befragten haben daraufhin die Strategien für resiliente Lieferketten zur wichtigsten Priorität für die nächsten Jahre ausgerufen.

Zukunftsmusik KI

Der Einsatz Künstlicher Intelligenz verbessert die Fähigkeiten eines digitalen Zwillings, weil sie mehr Datenquellen einbinden kann als standardisierte Schnittstellen: zum Beispiel Nachrichten aus aller Welt, die Aktivitäten von Marktbegleitern, die Verkaufsberichte des eigenen Außendienstes wie auch das Feedback von Kund*innen. KI ermöglicht damit zuverlässige Aussagen über Liefertermine, Lieferalternativen und alternative Ausweichszenarien. Vor allem aber identifizieren KI-Systeme schon im Vorfeld Abweichungen von der Planung und schlagen Alarm – so frühzeitig, dass Manager*innen noch wirkungsvoll gegensteuern können. Voraussetzung dafür ist eine verlässliche und qualitätsgesicherte Datenbasis – was durch die Anwendung von Normen und Standards sichergestellt werden kann.

Mehrere Forschungsprojekte arbeiten an zukunftssicheren Lösungen für resiliente Lieferketten. So bildet der Order-To-Delivery-Network-Simulator vom Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik (IML) komplexe Supply Chains inklusive der Planungs- und Informationsflussprozesse ab. Die Forschenden untersuchen damit beispielsweise den Einfluss von Bedarfsspitzen oder dem Zusammenbruch ganzer Beschaffungs- oder Absatzmärkte.

Das Forschungsprojekt Co-Versatile fokussiert sich dagegen auf die Resilienz der europäischen Fertigungsindustrie angesichts zukünftig drohender Pandemien und deren Auswirkungen auf die Lieferung von Medizinprodukten. Und mit dem White Paper „RESYST“ dokumentiert ein Forschungsverbund von 17 Fraunhofer-Instituten hre Expertise über resiliente Wertschöpfungsketten und deren Verhalten bei globalen Finanz- und Handelskrisen, Versorgungsengpässen, Klimaveränderungen und demografischen Veränderungen.

DREISATZ MIT RESILIENZ, RISIKO UND KOSTEN

Jedes Unternehmen muss eine individuelle Formel für die Gleichung mit drei Unbekannten lösen: Mehr Resilienz minimiert das Risiko, erhöht aber zumindest kurzfristig die Kosten. Mehr Risiko minimiert dagegen Kosten, kann aber langfristig den Unternehmenserfolg kosten. Die Rechnung ist abhängig vom unternehmerischen Kontext, der Volatilität des Umfelds und nicht zuletzt von der Risikoaffinität des Unternehmens.

Jede Schnittstelle eine Stolperfalle

Solche Systeme sind jenseits von Pilotprojekten allerdings noch Zukunftsmusik. In der Praxis werden intelligente Supply-Chain-Technologien durch eine Vielzahl von Schnittstellen, Kompetenzen und Vorschriften erschwert. Selbst wenn alle Marktpartner an einem digitalen Strang ziehen, ist die Einführung einer gemeinsamen Informations-Plattform derzeit eine Herausforderung. So arbeiten die Beteiligten in aller Regel mit unterschiedlichen IT-Infrastrukturen, vielfältigen Anwendungen und abweichenden Datenformaten. Belastbare Resilienz entsteht für die Lieferkette aber nur bei Verwendung einer Single Source of Truth – eines gemeinsamen, konsolidierten und transparenten Datenstammes in Echtzeit. Wenn mehrere Datenquellen mit unterschiedlichen Aussagen existieren, ist keine einzige davon verlässlich. Normen und Standards ersetzen Wildwuchs durch konsolidierte Lösungen, sprich einheitliche Schnittstellen.

Eine Frage des Vertrauens

Der eigene Weg Richtung Resilienz startet mit einer Stärken-Schwächen-Resilienz-Analyse der eigenen Workflows; beginnend mit erfolgskritischen (Vor-)Produkten. Dazu gehören nicht nur die ersten und zweiten Supply Chain Tiers, sondern die gesamte Lieferkette. Das ist kosten- und zeitaufwendig – aber deutlich günstiger als eine unberechenbare Unterbrechung. Darauf aufbauend folgen der gezielte Lageraufbau, ergänzt durch die Diversifizierung von Lieferanten. Das ist nicht allein ein technischer Vorgang, sondern im besten Fall ein persönlicher: Resilienz ist auch eine Frage des gegenseitigen Vertrauens. Was mit routinemäßiger Kommunikation über Bedarfe und Konditionen beginnt, kann zu starken Partnerschaften führen, die Belastungen aushalten und durch Krisen tragen.

Resilienz beruht auf Transparenz, Transparenz basiert auf IT-Architekturen. So gesehen sollte die Krise zu einem Digitalisierungsschub geführt haben. Das ist jedoch nicht ist der Fall. Der Digitalisierungsindex 2022 des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz weist für 2022 nur eine geringfügige Steigerung aus. Vorreiter sind wenig überraschend die Informations- und Kommunikationstechnologie-Branche, den höchsten Nachholbedarf haben KMU im produzierenden Gewerbe. Alles ist relativ: Das Ministerium äußert sich im Digitalisierungsindex 2022 erleichtert, „dass die Wirtschaft unter dem Eindruck der letzten Ausnahmesituationen nicht sogar Rückschritte bei der Digitalisierung gemacht hat“. Dabei besteht laut Studie ein direkter Zusammenhang zwischen Resilienz, Wirtschaftlichkeit und dem Digitalisierungsgrad eines Unternehmens.

Sicher ist sicher ist Norm

Neben den Kosten und dem Fachkräftemangel hemmt die Angst des Managements vor Cyberattacken die Digitalisierung von Lieferketten. Dabei sind Sicherheitsprobleme wie Diebstahl oder Fälschungen in Lieferketten ein altbekanntes Problem, das sich jetzt lediglich vom dreisten Diebstahl oder der Fälschung eines Lieferscheines ins Digitale verlagert. Die Angst der Manager*innen ist oft unbegründet: Moderne IT-Architekturen können sich zuverlässig selbst schützen – sofern sie professionell implementiert und kontinuierlich gewartet werden. Auch hier helfen Standards: beispielsweise die ISO/IEC 27032. Diese internationale Norm hilft Unternehmen praxisgerecht beim Management ihrer internen Sicherheit durch Software- und Datenmanagement-Services. Sie unterstützt beispielsweise konkret die Kategorisierung anfälliger Prozesse und schützt damit nicht nur das Unternehmen, sondern auch dessen Kunden und Partner.

Leuchttürme bauen, Wege sichern

Genauso wichtig wie die Betrachtung von Lagerbeständen und der Aufbau alternativer Lieferanten ist die Resilienzsteigerung der eingesetzten Logistik- und Transport-Systeme. Auch hier müssen Risiken überprüft und Frühwarn- bzw. Notfallpläne in der Schublade liegen. In transparenten Lieferketten obliegt die logistische Verantwortung für eine termingerechte Lieferung nicht nur dem Absender, sondern mithilfe von Kontrollmechanismen auch dem Empfänger.

Resilienz ist nicht nur ein Krisenthema, sondern bietet Unternehmen auch erhebliche Chancen; beispielsweise beim Aufbau einer Circular Economy. Diese Wirtschaftsform hat die Umstellung der Wertschöpfung zum Ziel – weg von der linearen Wegwerfgesellschaft hin zum zirkulären Modell. Zirkuläres Wirtschaften bedeutet, Rohstoffe so lange und häufig wie möglich zu nutzen und natürliche Ressourcen im Idealfall in Kreisläufen zu führen, ohne neue Ressourcen zu verbrauchen. Um diesen Ansatz zu realisieren, müssen Produkte bereits in der Designphase auf ihre Kreislauffähigkeit ausgerichtet werden. Das ist einmal aufwändig, in Folge dann aber deutlich wirtschaftlicher als eine Wegwerf-Wirtschaft – weil nicht nur Rohstoffe eingespart werden, sondern auch die Lieferketten spürbar entlastet werden.

Internationale Normen für mehr Resilienz

ISO 9001 (Dokumentation Prozesse)
Die Qualitätsmanagement-Norm ISO 9001 ist die am weitesten verbreitete Norm im Qualitätsmanagement (QM). Die Einführung dieser Norm hilft Unternehmen, ihre Effizienz und Wirtschaftlichkeit auf allen Ebenen zu verbessern.

ISO 28000 (Spezifikationen für Sicherheitsmanagementsysteme)
Diese umfassende Managementsystem-Norm für Lieferketten unterstützt das Security Management und hilft dabei, ein vollständiges System für die Sicherheit in der Lieferkette aufzubauen.

ISO 28002 (Sicherheitsmanagementsysteme für die Lieferketten)
Erleichtert die Definition von Anforderungen und Richtlinien für die Entwicklung von Flexibilität im Sicherheitsmanagementsystem von Lieferketten.

ISO 22095 (Rückverfolgbarkeit von Lieferketten – Allgemeine Terminologie und Modelle)
Diese Norm unterstützt einen konsistenten und generischen Ansatz für die Definition, Realisierung und Organisation von Konformitätsbescheinigungen.

ISO/IEC 27036 (Cybersicherheit – Lieferantenbeziehungen)
Optimiert die Transparenz rund um Produkte und Dienstleistungen in der Lieferkette, minimiert organisatorische und technische Risiken und integriert Informationssicherheitsprozesse und -praktiken in System- und Softwarelebenszyklusprozesse.

 

 

Das Beste zum Schluss

Zur Wirtschaftlichkeit kommt Nachhaltigkeit: Resiliente Lieferketten können dank der umfassenden Transparenz auch menschen- und umweltfreundlicher ausgerichtet werden. Parameter, die immer mehr Verbrauchende bei ihrer Kaufentscheidung berücksichtigen. Die Strategieberatung Oliver Wyman hat zusammen mit gfu Consumer & Home Electronics 1.000 europäische Verbrauchende befragt. Demnach präferieren zwei Drittel der Befragten heimische Marken, rund drei Viertel wünschen sich eine Fertigung im Heimatland. Sie erhoffen sich dadurch nicht nur mehr Qualität, sondern vor allem auch mehr Transparenz in der Lieferkette sowie mehr Menschen- und Klimaschutz. Immerhin ersetzt die Produktion vor Ort lange Transportwege und sichert eine Produktion unter modernen umweltfreundlichen Bedingungen.

Mit einer strategisch ausgerichteten Lieferkette können Unternehmen nicht nur ihre Resilienz optimieren, sondern auch ihre Marktposition ausbauen. Sie zeigen damit, dass sie nicht Teil des Problems sind, sondern ein innovativer Teil der Lösung. Und das wiederum ist gut für uns alle.

Internationale Gremien

ISO/TC 292 (Management Resilienz)
Dieses internationale Gremium bei ISO kümmert sich um die Normung für mehr Sicherheit und Widerstandsfähigkeit der Gesellschaft. Es erarbeitet Normen, die den nationalen und internationalen Handel durch eine erhöhte Zuverlässigkeit von Lieferketten und geschäftlichen Interaktionen verbessern.

ISO/IEC JTC 1 WG 13 (Vertrauenswürdigkeit)
Dieses internationale Gremium bei ISO und IEC kümmert sich um die Normung im Bereich der Sicherheit von Informations- und Kommunikationstechnik. Das Gremium erarbeitet Frameworks, Modelle, Ontologien und Taxonomien, welche die IKT-Vertrauenswürdigkeit erhöhen sollen.

Hat Ihnen der Artikel gefallen?

Weitere Artikel

Nach oben scrollen