Blick für Plastik
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© Götz Schleser

Christian Schiller hat dem Plastikmüll weltweit den Kampf angesagt. Der Gründer hat mit seinem Start-up cirplus einen digitalen Marktplatz geschaffen, der den Handel mit recycelten Kunststoffen einfach und verlässlich machen soll. Damit der Beschaffungsprozess unter allen Beteiligten weltweit reibungslos funktioniert, hat er seine Idee nun zum Standard gemacht.

Das Treibgut aus Kunststoffflaschen und Plastiktüten hatte sich zu einem großen und stinkenden Müllteppich zusammengetan. Und eben diese schwimmende Müllhalde stellte sich der Zehn-Meter-Yacht auf ihrer Reise von Kolumbien nach Panama in den Weg. An Bord eine Handvoll Touristen, die auf dem 6-Tage-Segeltörn karibisches Flair und türkisblaues Wasser genießen wollten – unter ihnen Christian Schiller. Der Trip war Teil seines Sabbaticals, nach seinem Job, in dem er ein Start-up mit aufgebaut hatte. Jetzt war Weltreise: Abstand gewinnen, Kopf frei kriegen und Pläne schmieden, wie es nach seinem Abenteuer weitergeht. Und genau nach dieser Müllbegegnung in der Karibik war seine Mission klar: Er wollte seinen Beitrag im Kampf gegen die Plastikvermüllung der Welt leisten. Das war 2018.

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Christian Schiller hatte die Idee, wie recyceltes Plastik industriellen Herstellungsprozessen zugeführt werden kann.

Heute sitzt Christian Schiller in seinem Büro im Hamburger Stadtteil Altona, wenige 100 Meter vom Hamburger Hafen entfernt, und ist CEO der cirplus GmbH. „Das Thema hat mich nicht losgelassen, und ich muss gestehen, dass mir das Ausmaß dieses Problems erst auf dieser Reise klar geworden ist“, erinnert sich Schiller. Zurück in Hamburg hatte er sich gleich hinter das Thema geklemmt und festgestellt, dass sich viele Köpfe viele Gedanken darüber machen, wie das Plastik aus den Weltmeeren gefischt und an Land gebracht werden kann. Wie das Plastik aber wieder in die industriellen Herstellungsprozesse zurückgeführt werden kann und wie Kunststoffe den dafür notwendigen Qualitätsstandards genügen, dass sie sortenrein und verfügbar sind und ihre Herkunft klar ist, dazu haben sich nur Wenige den Kopf zerbrochen.

Kunststoffabfälle zu Rezyklaten aufzubereiten, die sich in gleich- oder höherwertigen Produkten einsetzen lassen, ist bis heute eine Herausforderung.“

Digitaler Katalysator für die gesamte Kreislaufwirtschaft für Kunststoffe

Um den Kreis von Herstellung, Nutzung, Entsorgung und effizienter Wiederverwertung von Kunststoffen zu schließen, bedarf es einer digitalen Plattform, die den weltweiten Handel mit recycelten Kunststoffen erleichtert und für alle Marktteilnehmenden verlässlich macht. Mit dieser Idee ging Schiller 2019 in die Gründungsphase seines Unternehmens und fand in Volcan Bilici, den er auf einem Speed-Dating für Gründende in Berlin kennengelernt hatte, einen Mitstreiter der ersten Stunde. Bilici ist CTO der cirplus GmbH und als Programmierer in der Welt der Webtechnologien und Blockchains zu Hause. Gemeinsam gründeten sie einen digitalen Marktplatz für Rezyklate und Kunststoffabfälle. Aktuell sind auf der Plattform 1,3 Millionen Tonnen recycelter Kunststoff oder Kunststoffabfälle gelistet. Zum Vergleich: In Europa beträgt die installierte Kapazität zur Herstellung von Kunststoffrezyklaten rund 5,6 Millionen Tonnen. Geht es nach der Circular Plastic Alliance – einem Zusammenschluss von mehr als 300 Unternehmen der Wertschöpfungskette, und 2019 von der Europäischen Kommission ins Leben gerufen –, soll sich diese Zahl bis 2025 auf zehn Millionen Tonnen fast verdoppeln. Das entspricht dann etwa 17 Prozent der gesamten in Europa verarbeiteten Menge an Kunststoffen.

Wer den cirplus-Marktplatz besucht, kommt sich ein bisschen vor wie in einem Online-Shop. Da wird etwa recyceltes Polyethylen niedriger Dichte (PE-LD) angeboten. Das Granulat ist schwarz und wartet in Großbritannien auf Käufer. Der Anbieter kann monatlich 250 Tonnen liefern. Es eignet sich zur Herstellung von Müllsäcken, Schrumpfschläuchen oder Landwirtschaftsfolien. Registrierte Nutzer*innen können sich nun mit einem Klick die gewünschte Menge an PE-LD-Rezyklat sichern.

Wer sind die Nutzer*innen? Kunststoffverarbeitende auf der Suche nach Rezyklat sowie Recycler*innen und Entsorger*innen, die aufbereitete Kunststoffe zum Kauf anbieten. Sie alle treffen sich auf der cirplus-Plattform und damit in einem Markt, der seine Besonderheiten hat. Denn hochwertige Kunststoff-Rezyklate sind schwer verfügbar und ihr Einsatz in einigen Fällen teurer als Neuware. Schiller: „Kunststoffabfälle zu Rezyklaten aufzubereiten, die sich in gleich- oder höherwertigen Produkten einsetzen lassen, ist bis heute eine Herausforderung. Die Materialqualität schwankt und es fehlte eine einheitliche Beschreibung der Rezyklate und ihrer Qualität.“ Deshalb sei es entscheidend, dass der digitale Rezyklathandel nach einheitlichen Regeln funktionierte, um eine durchgängig nachvollziehbare Informationskette sicherzustellen, die wiederum verlässliche Aussagen zur Qualität der gehandelten Stoffe zulasse. „Und da kam DIN ins Spiel“, erinnert sich Benjamin Hein, Leiter der Geschäftsfeldentwicklung Circular Economy bei DIN. „Denn es war naheliegend, diese Anforderungen für alle Betroffenen zu erfassen, zu strukturieren und daraus einen Standard für alle zu definieren.“

Volcan Bilici ist CTO bei der cirplus GmbH und in der Welt der Webtechnologien und Blockchains zu Hause.

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DIN SPEC 91446

Die DIN SPEC 91446 liefert umfassende Vorgaben zu Datenmenge und -qualität für die Materialklassifizierung. Sie legt ein System fest, um Kunststoffrezyklate entsprechend der Datentiefe ihrer Beschreibung einzustufen. So baut sie bestehende Hindernisse für ihren industriellen Einsatz ab. Zudem definiert sie, wie sich Rezyklate und Rezyklatanteile von Kunststoffmaterialien eindeutig kennzeichnen lassen. Der Standard enthält grundsätzliche Regelungen für nicht klar definierte oder unterschiedlich verwendete Begriffe bei Inputmaterial, Recyclingprozessen und Kunststoffrezyklaten als Werkstoffen. Standards für Kunststoff-Rezyklate sind für einen hochwertigen Einsatz in der Industrie zentral – alle Akteure der Wertschöpfungskette brauchen verlässliche Informationen darüber, was in den Materialien steckt, damit ein internationaler Markt für Rezyklate möglich wird. Die DIN SPEC 91446 dient zunächst als Basis für den Handel und den Einsatz von Kunststoffrezyklaten, bietet aber auch Spielraum für künftige anwendungsspezifische Normen und Standards. Zudem dient das Konzept der DIN SPEC als Anregung für die europäische Normungsarbeit.

Transparenz und Datenqualität erhöhen

Mitte 2020 begann auf Initiative von cirplus die Erarbeitung des Standards. Mit dabei waren Unternehmen der kunststoffverarbeitenden Industrie, Verwerter, Verbände und Forschungseinrichtungen. Insgesamt waren 16 Stakeholder an dem Prozess beteiligt. Das Ergebnis ist die DIN SPEC 91446 mit dem Titel „Klassifizierung von Kunststoff-Rezyklaten durch Datenqualitätslevels für die Verwendung und den (internetbasierten) Handel“. Der Standard steht seit November 2021 allen Marktteilnehmer*innen zur Verfügung.

„Es ist entscheidend, dass der digitale Rezyklathandel nach einheitlichen Regeln funktioniert.“

Herzstück sind sogenannte DQLs, Data Quality Levels. Sie helfen dabei, Rezyklate auf Grundlage der zur Verfügung stehenden Daten zu klassifizieren und so einfacher zu vermarkten. Je mehr Informationen und Eigenschaften der Stoffe bekannt sind, desto höher ist das DQL – und desto höhere Preise lassen sich mit den recycelten Kunststoffen erzielen. Der neue Standard liefert eine wichtige Grundlage, um die Materialströme im Bereich Kunststoff zu schließen und den breiten und wirtschaftlichen Einsatz hochwertiger Rezyklate voranzutreiben.

„Die DIN SPEC 91446 zeigt einen Weg auf, den weltweiten Handel mit Rezyklaten transparent und verlässlich zu machen“, sagt Schiller abschließend. „Der Standard schafft Vertrauen im Markt und ist ein entscheidender Erfolgsfaktor für unseren digitalen Marktplatz cirplus.“ Ein Marktplatz mit der Kraft, die Kreislaufwirtschaft für Kunststoffe zu 100 Prozent zu schließen und den ökologischen Fußabdruck von Kunststoffen spürbar zu verringern. Gut möglich also, dass die ein oder andere Kunststoffflasche aus der Karibik heute als Granulat auf dem cirplus-Marktplatz gehandelt wird.

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