Carbon Management

Ohne Kohlenstoff keine organische Chemie
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Verschiedene Glasflaschen mit farbigen Flüssigkeiten befüllt symbolisieren chemische Prozesse im Carbon Management.

Aus Klimaschutzperspektive hat CO₂ keinen guten Ruf. Zudem muss der chemischen Industrie in Deutschland die Gratwanderung gelingen, Kohlenstoff, welcher als Grundstoff für unzählige chemische Produkte dient, möglichst klimaneutral zu nutzen, um bis 2045 treibhausgasneutral zu sein. Daher hat CO₂ als Kohlenstoffquelle für die chemische Industrie großes Potenzial und die Nutzung von CO₂ kann einen wichtigen Beitrag leisten. Mit der Frage, wie das funktionieren kann, beschäftigt sich unter anderem die DECHEMA Gesellschaft für chemische Technik und Biotechnologie, die auch die DIN SPEC 91458 auf den Weg gebracht hat.

Aktuell stammen noch rund 90 Prozent der 21 Millionen Tonnen Kohlenstoff, die die chemische Industrie in Deutschland zum Beispiel in der Kunststoff- oder Grundchemikalienproduktion jedes Jahr nutzt, aus fossilen Quellen. Doch das muss sich ändern, denn am Ende des Lebensweges der Produkte gelangt der Kohlenstoff meist in Form von CO₂ in die Atmosphäre. Carbon Management ist der Überbegriff für sämtliche Ansätze, den Industriesektor zur Klimaneutralität zu führen und in der chemischen Industrie die Abkehr von fossilen Kohlenstoffquellen zu schaffen. „Im allgemeinen Diskurs geht es beim Carbon Management darum, die CO₂-Emissionen in der Industrie zu senken. Das versucht die chemische Industrie natürlich in Bezug auf die Stromnutzung auch. Doch als Rohstoff kann die Branche nicht darauf verzichten, sondern braucht eine Alternative zu fossilen Quellen. Das ist aktuell eine der größten Herausforderungen“, sagt Dennis Krämer, Senior Advisor Carbon Management bei der DECHEMA e. V.

Ein neues Leben für CO₂

CO₂ lässt sich sowohl aus Emissionen als auch aus der Atmosphäre abscheiden, also entziehen. Anschließend gibt es zwei Methoden, damit weiter zu verfahren: Bei der CO₂-Abscheidung und -Speicherung (Carbon Capture and Storage, CCS), wird das abgeschiedene CO₂ aufbereitet, komprimiert und langfristig gespeichert, etwa in tiefen Sedimentschichten des Meeresbodens. Um CO₂ dagegen direkt als Rohstoff nutzen und so fossile Energieträger als Kohlenstoffquelle ersetzen zu können, setzt die chemische Industrie auf CO₂-Abscheidung und -Nutzung (Carbon Capture and Utilization, CCU). Oftmals in Verbindung mit Wasserstoff können so Chemikalien, Kunststoffe oder synthetische Treibstoffe, sogenannte E-Fuels, entstehen. Klimaneutral ist aber auch CCU nicht per se, wie Krämer erklärt: „Mit der Nutzung von CO₂ aus industriellen Prozessen geben wir ihm sozusagen ein neues Leben, fossile Rohstoffe werden eingespart. Das CO₂ wird dennoch am Ende des Lebenszyklus freigesetzt – man hätte also zwar den CO₂-Fußabdruck verringert, da der weitergenutzte Kohlenstoff aber fossilen Ursprungs ist, bleiben weiterhin Emissionen bestehen. Ein Kreislauf kann durch CCU nur dann entstehen, wenn das genutzte CO₂ aus der Atmosphäre oder aus Biomasse stammt.“ Zusammen gelten sowohl CCU als auch CCS als Kernelement der Strategie, mit der die gesamte Industrie bis 2045 Treibhausgasneutralität erreichen soll. Für die chemische Industrie ist CCU zudem vor dem Hintergrund einer stabilen und fossilfreien Rohstoffversorgung relevant.

Einen Kohlenstoffkreislauf schaffen

Um CCU in der entsprechenden Größenordnung nutzen zu können, braucht die chemische Industrie nachhaltige Kohlenstoffquellen – doch obwohl zu hohe CO₂-Emissionen weltweit ein Problem darstellen, ist die Abscheidung und Nutzung von CO₂ keine simple Angelegenheit: „Die Nutzung von CO₂ ist vergleichsweise schwer umzusetzen, weil es als Verbrennungsprodukt nicht viel Energie hat. Weil der Bedarf in der chemischen Industrie aber so groß ist, hat die CO₂-Nutzung auch das größte Potenzial. Um höherwertige Produkte herzustellen, brauchen wir Energie – und in diesem Zusammenhang kommt Wasserstoff ins Spiel. Dieser sollte selbstverständlich auch einen möglichst geringen CO₂-Fußabdruck haben, wofür enorme Mengen an erneuerbarer Energie nötig sind. Daran hakt es aktuell – grüner Wasserstoff ist noch nicht in der Größenordnung verfügbar, in der er nötig wäre, um CCU flächendeckend umzusetzen“, so Krämer. 

Bunte Kunststoffgranulate verdeutlichen die Herausforderungen des Carbon Management in der Kunststoffindustrie.

Kohlenstoff-Recycling aus Kunststoff ist aufgrund des niedrigen Energiebedarfs attraktiv.

Beleuchtete Industrieanlage bei Nacht zeigt die Bedeutung von Carbon Management für Emissionsreduktion.

Alternative Kohlenstoffquellen für die Industrie

Weitere nachhaltige Kohlenstoffquellen sind mechanisches und chemisches Recycling von Kunststoff, das aufgrund des niedrigen Energiebedarfs attraktiv ist. Dennoch macht sein Anteil am nachhaltig gewonnenen Kohlenstoff nur 1,5 bis zwei Prozent aus, weil sich der Kohlenstoff oft nur schwer von den anderen Materialien im Produkt trennen lässt. Eine dritte Möglichkeit stellt Biomasse dar. Als Teil des Kohlenstoffkreislaufs ist diese Art der Gewinnung klimaneutral, weil die Pflanzen das CO₂ zunächst binden. Allerdings sorgt ihr Anbau für Konkurrenz, was die Flächennutzung angeht: Damit die chemische Industrie ihr Ziel erreicht, bis 2045 treibhausgasneutral zu sein, wäre für die CO₂-Nutzung aus Biomasse eine zusätzliche Fläche von vier bis fünf Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche in Deutschland nötig. „Das Ziel ist es letztlich, einen Kreislauf zu schaffen, in dem wir Kohlenstoff aus nachwachsenden statt fossilen Quellen gewinnen oder mittels Direct Air Capture (DAC) aus CO₂ aus der Luft abscheiden. Wann das technisch und ökonomisch konkurrenzfähig und in großem Maßstab möglich ist, ist allerdings noch nicht klar“, sagt Krämer. „Kleine DAC-Anlagen existieren bereits, doch sind die Abscheidungskosten pro Tonne CO₂ sehr hoch. Generell lässt sich sagen: Je höher die Konzentration von CO₂ im Abgas, desto niedriger der Preis. Kosteneffizientere Optionen für die chemische Industrie sind also Prozesse, bei denen CO₂ ohnehin als Nebenprodukt anfällt, beispielsweise die Produktion von Ammoniak, bei der hochreines CO₂ entsteht. Die Konzentration im Abgas von Zementwerken liegt zum Beispiel bei über 30 Prozent – im Vergleich dazu ist die Konzentration von etwa 420 ppm (0,042 %) in der Atmosphäre sehr gering.“

CO₂ in die Wertschöpfungskette integrieren

Mit Carbon Management und den verschiedenen Möglichkeiten, CO₂ möglichst klimafreundlich abzuscheiden und weiterzunutzen, beschäftigt sich Dennis Krämer schon seit 2008. Bei der DECHEMA e. V., dem Branchenverband für die chemische Industrie und Biotechnologie, ist er für die Forschungskoordination im Bereich Carbon Management verantwortlich. Entsprechend betreut er Projekte, an denen verschiedene Mitgliedsunternehmen der chemischen Industrie sowie Forschungseinrichtungen beteiligt sind. „Uns geht es in erster Linie um die Frage, wie sich CO₂ wieder in die Wertschöpfungskette integrieren lässt, damit sich daraus höherwertige Produkte, etwa Methanol oder Synthesegas, herstellen lassen“, sagt Krämer. Dafür bietet die DECHEMA eine Plattform, die verschiedene Disziplinen und Bereiche in der Branche zusammenbringt und den Austausch zwischen Industrie, Wissenschaft und Politik fördert.

Der Branchenverband DECHEMA arbeitet daran, dass die chemische Industrie in Deutschland bis 2045 klimaneutral wird.

Industrieanlage bei Sonnenuntergang symbolisiert die Bedeutung von Carbon Management.
Bunte Flüssigkeiten in Weingläsern symbolisieren Konzepte des Carbon Management.

Wenn dank Standards alle die gleiche Sprache sprechen, ist klar, ob das Glas halbvoll oder halbleer ist.

Carbon Management dank Normung

Eines der Projekte, an denen die DECHEMA und Krämer aktuell arbeiten, ist die Förderrichtlinie CO₂WIN des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF). Der Fokus liegt auf den Prozessen in verschiedenen Anwendungsbereichen, mit denen die chemische Industrie CO₂ als Rohstoff nutzen kann. Dazu gehören beispielsweise die Herstellung nachhaltiger Chemikalien und Kraftstoffe, die elektro- und photochemische Umwandlung von CO₂ und die Mineralisierung von CO₂ für die Herstellung klimaschonender Baustoffe. „Zusammen mit der Universität Kassel, DIN und dem Forschungsinstitut für Nachhaltigkeit (RIFS) ist die DECHEMA Projektpartner der Förderrichtlinie. Bei uns laufen also Begleitprojekte für CO₂WIN, mit denen wir die Projekte möglichst gewinnbringend vernetzen und Synergien schaffen möchten, um so die Marktreife der einzelnen Technologien voranzubringen“, sagt Krämer.

Eine dieser Maßnahmen war die Erarbeitung eines gemeinsamen Standards: Der DIN SPEC 91458 „Nutzung von Kohlenstoffdioxid – Begriffe“, für den Krämer als Obmann fungierte und an dem Industrievertreter wie große internationale Konzerne und kleinere Startups und zudem auch das Umweltbundesamt beteiligt waren. „Die Möglichkeit, Standards zu setzen und sich mit weiteren Beteiligten so intensiv auszutauschen und Inhalte zusammenzubringen, ist gerade in der aktuellen Phase sehr wichtig. So ist es einfacher, die Prozesse zu skalieren und in der Größenordnung umzusetzen, in der sie künftig gebraucht werden. Grundvoraussetzung hierbei ist, dass alle die gleiche Sprache sprechen“, so Krämer. Doch damit nicht genug, denn Krämer und die anderen Beteiligten hatten bereits weitere Ideen, welche Standards das Vorhaben Treibhausgasneutralität in der chemischen Industrie voranbringen können: So wurde die DIN SPEC 91457 „Photokatalyse – Bestimmung der Produktbildung in der CO₂-Reduktion“ zu den Labor- und Messbedingungen für Photo- und Elektrokatalyse – beides Methoden zur Umwandlung von CO₂ – ebenfalls bereits veröffentlicht und die DIN SPEC 91508 zum Thema Life Cycle Assessment wird gerade erarbeitet. In weiteren Standards könnte es künftig um die Elektrokatalyse sowie CO₂-Pipelines gehen, die vor allem in Zusammenhang mit CCS wichtig sind. „Wir haben einige vielversprechende Verfahren und Technologien, bei denen es in erster Linie darum geht, sie bis zur Marktreife zu bringen. Daran arbeiten wir aktuell unter Hochdruck – unser Engagement in der Standardisierung ist dabei ein wichtiger Hebel“, so Krämer.

„Alle müssen die gleiche Sprache sprechen, sonst werden wir die Marktreife nicht erreichen.“

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