Raus ins Rampenlicht
Ausgabe
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© Götz Schleser

Um „Künstliche Intelligenz“ (KI) ranken sich zahlreiche Mythen und Halbwahrheiten. Raus aus der Blackbox lautet deshalb die Devise von IBM Watson, der Division für Künstliche Intelligenz beim Technology und Consulting Unternehmen IBM. Dr. Wolfgang Hildesheim ist Direktor bei IBM Watson.

Schachmatt anno 1997: Der von IBM entwickelte Schachcomputer Deep Blue schlägt den amtierenden Weltmeister Garri Kasparow. Frühen KI-Elementen sei Dank. Februar 2011 der nächste Coup. Das ebenfalls von IBM entwickelte Programm Watson schlägt die menschlichen Kandidaten in der Quizshow Jeopardy. Und 2016 verlor Lee Se-Dol, der damals Beste im 2.500 Jahre alten Strategiespiel Go, gegen die KI Alpha Go, damals noch unter dem Label Google. Eine zweite Variante von DeepMind, die KI AlphaStar, erreichte im Spiel Starcraft II das Level Grandmaster – und war damit besser als 99,8 Prozent aller Spieler*innen auf der Welt. Es gibt spektakuläre Erfolge von KI-Systemen, die für Aufmerksamkeit sorgen. Schlagzeilenträchtig, aufmerksamkeitheischend. Und irreführend.

Zweite Stufe gezündet

Derzeit arbeiten Expert*innen an der zweiten Ausgabe der KI-Roadmap. Sie soll die Ergebnisse der ersten Version fortschreiben und weiterentwickeln und Anforderungen an KI-Systeme – unter anderem an Transparenz, Robustheit und Genauigkeit – identifizieren. Eine Aufgabe der Normungsroadmap KI wird es dabei sein, diese Bedarfe bei der Ausgestaltung des weiteren Fahrplans für die Normung und Standardisierung zu berücksichtigen. Hildesheim: „Wir setzen mit der Normungsroadmap KI ein klares Zeichen: für den bewussten und verantwortungsvollen Umgang mit KI. Wir wollen eine KI, die vertrauenswürdig ist. KI-Anwendungen, die Unschärfen erkennen und vor allem für alle Beteiligten Verbindlichkeit schaffen – ‚Trustworthy AI made in Germany and Europe‘. Die Veröffentlichung der „Normungsroadmap KI – Ausgabe 2“ ist für Ende 2022 vorgesehen. Wolfgang Hildesheim: „Wir haben in Deutschland und Europa die einzigartige Chance, KI ganz entscheidend zu prägen.“

Denn, so Wolfgang Hildesheim, die publizierten Highlights vermitteln ein falsches Bild vom Leistungsvermögen der KI. KI ist heute schon in breiten Anwendungsgebieten nutzbar. „Im Moment haben wir gerade einmal die Oberfläche dessen angekratzt, was KI kann“, sagt er: „Wenn wir eine Poleposition in puncto KI besetzen, ist das eine große Chance für Deutschland und Europa.“ Anstelle von überbordenden Phantasien gilt es Vertrauen in die Zuverlässigkeit von KI zu schaffen. Und verbindliche Regeln sowie einheitliche Normen und Standards zu etablieren. Hildesheim: Künstliche Intelligenz braucht europäische Wertmaßstäbe. Denn mit Normen und Standards werden Anforderungen an KI und KI-Anwendungen unter Beteiligung aller relevanten Stakeholder technisch beschrieben, zum Beispiel Robustheit, Verständlichkeit, Erklärbarkeit, Leistungsfähigkeit. So ist von technischer Seite der Schutz gegen Verzerrungen, Diskriminierungen und Manipulationen gegeben. Deshalb engagiert IBM sich unter anderem in Person von Wolfgang Hildesheim in der Koordinierungsgruppe der Normungsroadmap KI und in Projekten bei DIN.

Anstelle von überbordenden Phantasien gilt es Vertrauen in die Zuverlässigkeit von KI zu schaffen. Und verbindliche Regeln sowie einheitliche Normen und Standards zu etablieren.

Die Roadmap hat zum Ziel, einen Handlungsrahmen für die Normung und Standardisierung im Bereich KI zu entwickeln – dieser soll die internationale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft unterstützen und europäische Wertmaßstäbe auf die internationale Ebene heben. Hildesheim hat an der Normungsroadmap KI maßgeblich mitgearbeitet. Die im November 2020 veröffentlichte erste Ausgabe umfasst die Themen ethische und vertrauenswürdige KI, Qualitätskriterien, Konformitätsbewertung und Zertifizierung. Dazu kommen IT-Sicherheit, industrielle Automation, Mobilität und Logistik sowie KI in der Medizin. Hildesheim: „KI ist ein Megatrend und wird so alltäglich werden wie Elektrizität. So wie Strom aus der Steckdose kommt, wird uns KI künftig begleiten.“ Ein praktisches Beispiel hat Wolfgang Hildesheim parat. Die Hotline eines Direktversicherers: Gemeinsam mit IBM Watson entwickelt, gehört der zermürbende Satz „Drücken Sie die Eins, wenn Sie Ihren Vertrag verlängern wollen“ der Vergangenheit an. Der Chat-Bot beherrscht jetzt den Dialog – dank KI.

„Während die Risiken einer Super-KI in der öffentlichen Diskussion überschätzt und von Hollywood vorangetrieben werden, sind die Marktchancen für Wachstum und neue Arbeitsplätze im Zusammenhang mit schwacher Künstlicher Intelligenz zu wenig beachtet.“

Ein anderes beeindruckendes Projekt ist die „Mayflower 400“, das erste vollautonome Schiff, das „nur“ von einem KI-Kapitän gesteuert wird und die Weltmeere z.B. für mehr Umweltschutz und Artenvielfalt erforscht. Ohne einen Menschen an Bord hat die Mayflower 400 gerade den Atlantik überquert, Siehe auch: https://mas400.com/.

© Götz Schleser

ICH SEHE WAS, WAS DU NICHT SIEHST …
Erkennungssoftware täte sich noch schwer, auf diesem Bild Dr. Hildesheim als Mann zu identifizieren. Wir  Menschen können das auf einen Blick, die KI muss hier noch dazulernen.

Hildesheim ist sich mit Filiz Elmas, Leiterin Geschäftsfeldentwicklung Künstliche Intelligenz bei DIN, einig: Es braucht Normen und Standards, damit KI-Systeme sicher und verlässlich arbeiten. Wolfgang Hildesheim: „Standardisierung hat einen hohen strategischen Stellenwert für IBM. Wir wollen dabei eine Führungsrolle einnehmen.“ Denn Standards nehmen eine wichtige Funktion ein, wenn es um verantwortungsvolle Strukturen und Prozesse, gesellschaftliche Freiheiten, nachhaltiges Wirtschaften, Geschäftswachstum, einen globalen Wettbewerb und technologische Innovationen geht.

„Wir brauchen für die Mächtigkeit der KI klare Regeln – vor allem auch, was den ethischen und verantwortungsvollen Umgang mit Daten und Informationen angeht.“

Seit vielen Jahrzehnten ist IBM Mitglied bei DIN und partizipiert aktiv in den Normungsgremien, gelegentlich auch in führender Rolle auf europäischer Ebene in den technischen Gremien von CEN oder CENELEC als auch auf internationaler Ebene in den technischen und leitenden Gremien von ISO, IEC und ISO/IEC JTC 1. Schaut man in den Markt, wird deutlich, dass es beim Thema Vertrauenswürdigkeit und Berücksichtigung ethischer Aspekte international Unterschiede gibt.

Hildesheim: „Deshalb müssen wir in Deutschland eine führende Position einnehmen.“ Klares Ziel: Vertrauenswürdige KI soll eine europäische Domäne werden.

Die Kernfrage, die die Fachleute umtreibt: Was kann und darf KI? Und was muss man zwingend reglementieren? Es braucht verbindliche Qualitätskriterien, um hochwertige KI erkennbar zu machen. In seinen zahlreichen Vorträgen präsentiert Hildesheim ein Beispiel: Auf einem Tableau sind neun katzenähnliche Tiere der Familie Felidae abgebildet. Die Bilderkennung mit dahinterliegenden KI-Elementen erkennt sie. Übersieht aber, dass neben acht Hauskatzen ein junger Panther abgebildet ist. Tolerabel? In dem Beispiel ja. Aber soll die Erkennungssoftware im medizinischen Kontext der Krebsdiagnose aus neun Zellhaufen die Mutante erkennen, ist keine Unschärfe akzeptabel. Also braucht es für unterschiedliche Anwendungszwecke unterschiedliche Qualitätskriterien. KI in der Medizin beispielsweise erfordert extrem strenge Kriterien für Prävention, Diagnostik und Therapie.

Hildesheim: „Wir brauchen für die Mächtigkeit der KI klare Regeln – vor allem auch, was den ethischen und verantwortungsvollen Umgang mit Daten und Informationen angeht.“

Dr. Wolfgang Hildesheim

ist promovierter Physiker und hat wissenschaftlich mit kleinsten Teilchen experimentiert. 2007 hat er seine Arbeit mit IBM Watson begonnen, seit 2012 ist Wolfgang Hildesheim im Technology-Bereich von IBM zuständig für den Aufbau und das Wachstum von IBM Watson, Data Science und Artificial Intelligence Business in Europa mit Schwerpunkt auf Deutschland, Österreich und der Schweiz.
Watson Solutions sind IBMs Antwort auf den aktuellen weltweiten Megatrend Künstliche Intelligenz (KI).

Wolfgang Hildesheim ist Mitglied der Koordinierungsgruppe KI von DIN und DKE, die die Normungsroadmap für Künstliche Intelligenz für Deutschland vorantreibt. Aktuelle KI-Projekte beschreibt er regelmäßig auf LinkedIn

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