Green IT: Ansatz für mehr Nachhaltigkeit

„Künstliche Intelligenz hat keinen ökologischen Freifahrtschein“
Ausgabe
5 min
Christoph Winterhalter im Anzug vor neutralem Hintergrund, spricht über Green IT und KI.
© Götz Schleser

Informations- und Kommunikationstechnologie und insbesondere der Einsatz von Künstlicher Intelligenz ist zweifellos ein Hebel zur Erreichung von Nachhaltigkeitszielen. Gleichzeit haben Softwarelösungen, Rechen- und Datenzentren einen enormen Energiehunger, tragen also selbst zum Klimawandel bei. Ganz besonders gilt das für Künstliche Intelligenz und die ihr zugrundeliegenden Lernmodelle. Höchste Zeit also, dass Normung sich des Themas „Green IT“ und insbesondere dem Aspekt der „Ressourceneffizienz von Software“ annimmt. Dazu beschreitet DIN neue Wege.

Baden-Württemberg ist das erste Bundesland, das Künstliche Intelligenz (KI) in seiner Landesverwaltung einsetzt. Seit September 2024 sollen KI-Systeme im Südwesten der Republik dafür sorgen, dass Dokumente automatisch bearbeitet, Anträge schneller ausgewertet und komplexe Datensätze effizient analysiert werden. Damit gesellt sich maschinelles Lernen in einen weiteren Lebensbereich und ergänzt die stetig wachsende Zahl an KI-Modellen. Während wir alles tun, damit KI sicher und vertrauenswürdig wird, liegen die ökologischen Auswirkungen von immer mehr KI-Systemen noch im Schatten des öffentlichen Interesses. Um diese Auswirkungen müssen wir uns schleunigst kümmern, denn der Energieverbrauch von intelligenten Bots und von Machine-Learning-Algorithmen ist enorm. Das gilt besonders beim Einsatz von KI zugrundeliegender Software.

Ressourceneffiziente Software

Welches Einsparpotenzial schon bei Programmiersprachen möglich ist, zeigt folgendes Beispiel: Würde beim Codieren von neuronalen Netzen die etwas kompliziertere Programmiersprache C++ eingesetzt, dann wäre der Energieverbrauch rund 70 Mal geringer als bei dem im Vergleich einfacher anwendbaren Python-Code. Oder ein anderes Beispiel: Zwischen der Veröffentlichung der generativen KI-Systeme Chat GPT-2 und ChatGPT-3 liegen nur etwas mehr als zwölf Monate. Während der Algorithmus bei GPT-2 noch sechs Milliarden Neuronen umfasste, waren es bei der Version 3 schon 175 Milliarden – das sind doppelt so viele, wie unser Gehirn Nervenzellen besitzt. Die Rechenoperationen haben sich in immer kürzeren Zeitabständen also vervielfacht.  Diese Zahlen machen deutlich, dass KI-Systeme enorme Auswirkungen auf den Energieverbrauch und damit den CO₂-Ausstoß haben und energieeffiziente Software-Praktiken entscheidend zur Bewältigung der Klima- und Ressourcenkrise beitragen können. 

Green IT als Baustein für mehr Nachhaltigkeit

Bislang geht es bei KI in erster Linie um Vertrauen, Fairness, Zuverlässigkeit und Transparenz. Die Europäische Union hat sich im EU AI Act auf die Spielregeln im Umgang mit KI-Systemen geeinigt. Sie zielen darauf ab, Regeln für KI-Systeme festzulegen, Innovation zu fördern sowie die Bürger*innen der EU zu schützen. Den Einsatz ressourceneffizienter Software streift die Verordnung indes nur am Rande, etwa, wenn ein Berichterstattungs- und Dokumentationsverfahren zur Verbesserung der Ressourcenleistung von KI-Systemen gefordert wird und das Entwickeln von KI-Modellen energieeffizient erfolgen soll. Auf der anderen Seite stehen die Ökodesign-Anforderungen des Green Deals, die dazu beitragen sollen, Europa bis 2050 klimaneutral zu machen. Aus diesen beiden Feldern – dem EU AI Act und dem Green Deal – ergibt sich eigentlich fast schon zwangsläufig die Frage, wie wir gemeinsame konkrete Leitplanken und ein gemeinsames Vorgehen beim Einsatz ressourceneffizienter Software definieren können. Meine Position ist klar: Natürlich mit transparenten Normungsinitiativen, die alle Expertinnen und Experten an einen Tisch bringen und im Konsens Lösungsvorschläge erarbeiten. Deutschland ist in beiden Bereichen – KI und Nachhaltigkeit – aktiver Gestalter und starker Player und kann das Thema Green IT und insbesondere den Aspekt der Ressource Efficient Software zu einem komplementären Baustein in diesen beiden wichtigen Bereichen machen. Klar ist auch, dass dieses Thema rasant an Bedeutung gewinnen und immer stärkere Auswirkungen auf unser soziales, politisches und wirtschaftliches Leben haben wird. Deshalb müssen wir die bietende Chance in Deutschland und Europa nutzen, KI nach demokratischen Regeln möglichst ressourcenschonend zu gestalten. Für unseren Kontinent wird das ein großer Vorteil im internationalen Wettbewerb sein.

Das Ende ist der Anfang

Für den Weg dahin haben wir bei DIN gemeinsam mit der internationalen Normungsorganisation ISO eine neue Herangehensweise ausgearbeitet. Die Rede ist von der ISO Open Consultation, einer Reihe von Stakeholder-Workshops, zu denen in allen interessierten Ländern gleichzeitig eingeladen wird. Entscheidend ist, dass jedes Land dabei seine wichtigsten Stakeholder und Meinungsführer zur Mitarbeit gewinnt. Denn nur gemeinsam mit und unter Beteiligung von Expertinnen und Experten kann Normung funktionieren. Grundlage der Open Consultation wird ein Dokument sein, das die Sachlage zusammenfasst, so einen einheitlichen Wissensstand herstellt und eine gemeinsame Diskussionsgrundlage schafft. Die virtuellen und interaktiven Workshops werden dann von einem internationalen Team aus Expertinnen und Experten begleitet. Deutschland – genauer DIN – nimmt hier eine Vorreiterrolle ein und wird als Pilotprojekt eine erste ISO Open Consultation zum Thema ressourceneffiziente Software unter deutschem Vorsitz durchführen. So stellen wir sicher, dass wir bei diesem Thema international auch in Zukunft weiterhin eine wichtige und gestaltende Rolle spielen.

„Künstliche Intelligenz und Klimaschutz müssen international und zusammen gedacht werden.“

Die ISO Open Consultation ist als ergänzender Prozess gedacht, frühzeitig neben den Impulsen aus den bestehenden Normenausschüssen externe Normungsbedarfe für neue querschnittliche Themen möglichst frühzeitig in einem schlanken und international abgestuften Prozess zu ermitteln und daraus Empfehlungen zu formulieren. Das jetzt anlaufende Pilotprojekt hat zum Ziel, in einer Reihe von Workshops die Erwartungen und Bedarfe für die Normung und Standardisierung für ressourceneffiziente Software zu analysieren, dabei die Kooperation externer Interessengruppen zu fördern und die Zusammenarbeit zwischen verschiedenen betroffenen Sektoren anzuregen. Am Ende dieser Konsultationen steht ein Bericht, der Ausgangslage, Herausforderungen und Handlungsfelder beschreibt sowie konkrete Normungs- und Standardisierungsbedarfe ableitet und Umsetzungsempfehlungen gibt. Diese bilden dann die Grundlage, um notwendige internationale Normungsverfahren rechtzeitig proaktiv anzustoßen und die am Prozess beteiligten Expertinnen und Experten aktiv einzubinden. Dieses Vorgehen hat zwei große Vorteile: Es ist schnell und es ist agil. Die ersten internationalen Workshops sollen noch in diesem Jahr stattfinden, der Abschlussbericht kommt schon vor Mai 2025. Dieser wird dann an die ISO-Gremien zur Evaluierung der nächsten Schritte weitergereicht. 

KI im Einklang

Warum das im Falle von Ressource Efficient Software im KI-Kontext so wichtig ist? Weil angesichts des globalen Charakters der ökologischen Herausforderung eine internationale Zusammenarbeit und Koordinierung von entscheidender Bedeutung ist. Hinzu kommt, dass KI-Systeme meist multinationale hochdynamische Produkte sind, die auf Software von Drittanbietern zurückgreifen, in entfernten Rechen- und Datenzentren betrieben und von internationalen Teams entwickelt werden. Somit gehören Künstliche Intelligenz und Klimaschutz international gedacht – auch und ganz besonders in der Normung. Das sorgt dafür, dass KI nicht nur möglichst vertrauensvoll, fair, zuverlässig und transparent ist, sondern auch im Einklang mit Klimaschutz und Ressourcenschonung steht.

Christoph Winterhalter

ist Vorstandsvorsitzender von DIN und Vice President Policy der internationalen Normungsorganisation ISO.

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