KI schärft den Blick auf Krebszellen
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© Götz Schleser

Woran arbeiten Pathologen? Glaubt man einschlägigen Krimiserien im TV, sind das überwiegend ungeklärte Todesfälle. Doch in der Realität ist das anders. Der Film zeichnet ein falsches Bild des Berufsstandes. Zu mehr als 90 Prozent befassen sich Pathologen mit Gewebeproben von lebenden Menschen.

In jedem Fall aber sind Pathologen ganz exzellent ausgebildete Fachkräfte. Nach dem Medizinstudium dauert es fünf bis sieben Jahren bis zum Facharzt. Jahrelanges Training, Erfahrung und Weiterbildung sorgen dafür, dass der Pathologe etwa Krebszellen zuverlässig erkennt – mit bloßem Auge am hochauflösenden Mikroskop. Mehrere hundert Gewebeproben gehen täglich über seinen Labortisch. Meist in der Onkologie, je nach Spezialisierung geht es um Brust-, Lungen- oder Prostatakrebs und andere Verdachtsmomente. Von der Expertise des Pathologen hängt die erfolgreiche Behandlung ab. Seine Einschätzung ist der Goldstandard für eine erfolgreiche Therapie.

Fatal ist dabei, dass der Fachexperte am Mikroskop bis zu 90 Prozent seiner Arbeitszeit mit monotonen Routinetätigkeiten verbringt. Zellen auszählen, Cluster bilden, Sektoren eingrenzen – das kostet Zeit und macht müde. 

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Mehr Zeit für Analysen

Grund genug für Felix Faber und Dr. Tobias Lang, die Gründer von MindPeak, sich die Aufgabe zu stellen, dieser Misere zu begegnen. Trauriger Anlass, neben der fundierten Marktanalyse, war der jähe Tod zweier nahestehenden Menschen. Beide Male, weil ein Karzinom zu spät entdeckt wurde. Damit die Idee der Informatiker sich in den Alltag der Labore einfügt, setzt das Duo von Anfang an auf die Zusammenarbeit mit renommierten Pathologen und stellt selbst einen ein.

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Felix Faber, Gründer und CEO von MindPeak setzt auf künstliche Intelligenz bei der Probenbefundung von Krebszellen

Künstliche Intelligenz (KI) nutzen die Gründer von MindPeak aus Hamburg dafür, damit der Pathologe Zeit für komplexe Analysen gewinnt. Er muss nicht seine wertvolle Zeit für Routineaufgaben verschwenden, sondern kann mit seinem enormen medizinischen Fachwissen sichere Diagnosen stellen. Denn bislang bleiben dem Meister am Mikroskop meist nur maximal zwei Minuten für komplexe Befundungen. Dabei ist Faktor Zeit in der Befundung, das belegen Studien, für die Qualität der Probenbeurteilung entscheidend. Felix Faber: „Wir entwickeln Unterstützungstools für Mediziner, die mit bloßem Auge am Mikroskop nach Krebszellen und Entzündungen suchen.“
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Es bleibt nicht allein beim Blick des Pathologen. Die KI unterstützt ganz gezielt.

In welchem Umfeld spielt sich die KI-Lösung von MindPeak nun ab? Ein Blick auf die gängige Praxis. Im Alltag bekommt der Pathologe einen Gewebeschnitt auf Träger, zählt und sortiert unter einem Mikroskop gesunde und nicht gesunde Zellen, erstellt eine Dokumentation und gibt diese an den Onkologen zurück. Gerade das Zählen der Zellen ist ein zeitaufwändiger Prozess. Hier setzen Faber und Kol-legen an. Diese Aufgabe übernimmt nun ein Algorithmus der künstlichen Intelligenz. „Für das Auszählen benötigt der Pathologe zwischen zwei und 15 Minuten, der Computer hingegen nur ein bis zwei Sekunden“, weiß Faber. Dabei bleibt die Deutungshoheit beim Experten. „Er ist derjenige, der entscheidet, ob ein Mensch Krebs hat und er bringt den Onkologen auf den richtigen Weg zur Therapie.“

Mehrere hundert Gewebeproben gehen täglich über den Labortisch eines Pathologen

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Weil KI vor allem in der Mustererkennung stark ist, birgt das viel Potenzial, um Zellveränderungen zu erkennen und zu klassifizieren. Etwa wenn die Frage lautet: Sind auf einem Gewebeschnitt Krebszellen zu erkennen – Ja oder Nein? Diese Qualifizierung steht als nächstes Projekt bei MindPeak an. „Solche Aufgaben kann KI mit großer Genauigkeit und wesentlich schneller lösen als der Mensch“, erklärt Felix Faber. „Mit unserer Software wird zwischen 50 und 90 Prozent Arbeitszeit eines Pathologen gespart. Ein enormes Plus für Treffergenauigkeit und Therapieerfolge.“ Das zeigen Pilotstudien und Praxis.

Standard für KI in der Medizin

Sie sind zu dritt. Und glauben an die Kraft von Standards. Deshalb haben Felix Faber von MindPeak und seine Kollegen Matthias Steffen von Fuse-AI und Sascha Lange von Psiori die DIN SPEC 13266 angestoßen. Gegenstand: Deep Learning, der neue State-of-the-Art der Bilderkennung. 

Ihr Vorteil, wie schon im Artikel beschrieben, sind vielversprechende Möglichkeiten für die Automatisierung langwieriger, monotoner Aufgaben und Erschließung neuer Anwendungsbereiche in der Bilderkennung. Beispielsweise in der medizinischen Diagnose. Die neue DIN SPEC nennt die Voraussetzungen, unter denen Bilderkennungsprobleme mit Hilfe eines Deep–Learning-Systems bearbeitet werden können.

Wie immer gilt: Eine Idee wird zum Verkaufsschlager, wenn mögliche Kunden Vertrauen in sie setzen. Erst dann entsteht ein Markt. Wer einen Standard setzt, schafft Akzeptanz, Vertrauen und zugleich ein Netzwerk an potenziellen Kunden und Partnern. So wird mit einer DIN SPEC der Markt für neue Produkte vorbereitet.

Das Plus: Künftig können Aufwand und Nutzen eines Deep-Learning-Systems besser abgeschätzt und so genauere Erfolgsprognosen abgegeben werden. Für Felix Faber zahlt sich das Engagement auch bei MindPeak direkt aus: „Die Dokumentation im Rahmen der DIN SPEC hilft uns beim Aufbau unseres Qualitäts-Managementsystems.“

Herausforderung Varianz

Um das System zu trainieren, haben die KI-Experten durch enge Kooperationen mit namhaften Forschungslaboren Zugriff auf rund 25 Millionen Träger mit Gewebe-proben. Denn die werden in Cambridge, an der Berliner Charité oder in italienischen Forschungseinrichtungen bis zu 30 Jahre aufbewahrt. Die besondere Herausforderung für die KI ist die enorme Varianz des Biopsie-Materials. Kein Labor arbeitet wie das andere: Neben grundsätzlich unterschiedlichen Einbettverfahren mit oder ohne Paraffin kennen Pathalogen beispielsweise gut ein Dutzend Färbemethoden des Präparats – von Berliner Blau bis zur Versilberung. Eine echte Herausforderung für die KI. Felix Faber: „Unsere Lösung passt in jede Laborumgebung und ist beliebig skalierbar – also in der Praxis sofort einsetzbar.“ In Pilotversuchen mit den Partnerinstituten in der Pathologie wurde das verifiziert.
MindPeak hat die Hürden geschafft und erste Systeme zur Quantifizierung von Brustkrebszellen bereits verkauft. Weitere Anwendungen sind für das laufende Jahr geplant. Und auch der Sprung über den Teich ist in Sicht – durch eine Kooperation mit dem US-amerikanischen Unternehmen „Gestalt Diagnostics“.
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