Standards für den Untergrund
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Wenn es in die Tiefe geht, denkt jeder gerne nur an sich. Markus Becker tut das nicht. Der erfahrene Tiefbauexperte aus dem Ahrtal möchte, dass die unterirdische Infrastruktur nicht länger im Dunkeln bleibt. Die von ihm gegründete Online-Plattform localexpert24 hilft dabei, Grunddaten im Tiefbau zu dokumentieren und allen Akteuren zugänglich zu machen. Dabei sorgt die von ihm initiierte DIN SPEC 91419 für eine standardisierte Datenerfassung.

Es gibt dieses bekannte Sprichwort, dass viele Köche den Brei verderben. Ein bisschen gilt das auch für den Tiefbau, also für den Teil der Baubranche, der sich um all das kümmert, was bautechnisch unter Straßen und Gehwegen passiert. Gas, Wasser, Abwasser, Strom, Daten – die meisten Versorgungsnetze, die Leben und Wirtschaft am Laufen halten, verlaufen unterirdisch und werden von einer dicken Schicht Schotter, Kies, Sand, Splitt und Asphalt überdeckt.

Daten, Wasser, Abwasser, Gas, Strom – hohes
Verkehrsaufkommen im Untergrund.

Aus den Augen, aus dem Sinn? Damit in der Welt unter unseren Füßen nicht alles im Chaos versinkt, ist jeder Netzeigentümer für die Dokumentation der von ihm errichteten Infrastruktur zuständig. „Trotzdem ist es immer wieder erstaunlich, welche Überraschungen sich tatsächlich im Untergrund auftun“, weiß Markus Becker. Der 55-Jährige ist alleiniger Gesellschafter der Berthold Becker GmbH, eines Unternehmens, das 1968 von seinem Vater Berthold gegründet wurde und das heute als Beratungsgesellschaft kommunale Tiefbaumaßnahmen plant und überwacht.

Vor der Baggerschaufel herrscht Finsternis

Und da sind wir wieder bei den vielen Köchen: Zwar werden Arbeiten an der unterirdischen Infrastruktur anhand von Normen aus dem deutschen Normenwerk durch jeden einzelnen Versorgungsträger dokumentiert, jeder tut das aber nur für seinen Bereich, kocht also sein eigenes Süppchen – am besten immer dann zu sehen und zu erleben, wenn die erst vor wenigen Monaten aufgerissene und erneuerte Straßenkreuzung schon wieder geöffnet wird, um ein Glasfaserkabel zu verlegen. Auf der Strecke bleibt die Übersichtlichkeit und eine umfassende Beschreibung sämtlicher Gewerke im Untergrund. „Es ist nie ganz klar, was sich tatsächlich direkt vor der Baggerschaufel befindet“, sagt Becker.

„Es ist nie ganz klar, was sich direkt vor der Baggerschaufel befindet.“

Viele wertvolle Informationen von unterirdischen Bauarbeiten finden ihren Weg nicht in die Dokumentationen der Netzbetreiber – etwa Betonummantelungen oder Dämmungen von Altleitungen, Betonfundamente, Ablagerungen von Siedlungsabfällen, Grundwasserstände oder Baugrundverhältnisse. „Und genau diese Informationen sind für nachfolgende Baumaßnahmen an derselben Stelle essenziell“, weiß Becker. Er spricht hier von Sekundär- oder Metadaten, die – ganz im Gegensatz zu den dokumentationspflichtigen Primärdaten der Versorger – eben bisher nirgends strukturiert festgehalten würden.

Mit Erfahrung Licht ins Dunkel bringen

Seine Idee: Das Wissen lokaler Tiefbauexperten müsste auf einer Plattform gebündelt werden, und zwar so strukturiert, dass es bei künftigen Tiefbauprojekten unterstützend zu Rate gezogen werden kann. Über solch ein Wissen verfügen etwa Bauherr*innen, Sachverständige, Vermesser*innen, Mitarbeitende von Stadtwerken und Energieversorgungsunternehmen, aber auch Facharbeiter*innen, Baumaschinenführer*innen und Bauleiter*innen – eben alle jene, die in ein Tiefbauprojekt eingebunden sind und sich vor Ort ein Bild von der unterirdischen Situation machen können.

„Trotz aller Dokumentationen sind Differenzen zwischen Planung und tatsächlicher Ausführung eher die Regel als die Ausnahme“, sagt Becker. Das habe zur Folge, dass Planungsvorgaben während der Bauausführung häufig angepasst werden müssten. Das hat Becker zum Aufbau von localexpert24 veranlasst – einer digitalen Plattform, die den Erfahrungsschatz lokaler Experten bei einzelnen Tiefbauprojekten sichert und für künftige Projekte an gleicher Stelle nutzbar macht. Auf den ersten Klick ähnelt local­expert24 einem Online-Kartendienst wie Google Maps. Auf einer Landkarte markieren digitale Stecknadeln einzelne Tiefbauprojekte.

Localexepert24

In localexpert24 markieren Tiefbauexpert*innen einzelne Baustellen in einer Karte, beschreiben die Baustellensituation und informieren über Besonderheiten. So geben sie ihr Spezialwissen an die Tiefbau-Community weiter. DIN SPEC 91419 sorgt dafür, dass die Datenerfassung in einem Standardformat erfolgt und so ein echter Mehrwert entsteht.

Wer sich eine Nadel ausgeguckt hat und in die Karte hineinzoomt, gelangt aus der Region in die Stadt, in den Stadtteil, in die Straße, an die Straßenseite und exakt an die Stelle, an der ein lokaler Tiefbauexperte Informationen in Form von Bildern, Videos oder Kommentaren über ein Tiefbauprojekt hinterlegt hat. Genau hier hatte die Person Einblick in den Untergrund und genau hier hält der mit der Nadel verknüpfte Datensatz auf local­expert24 wichtige Informationen zur Situation vor Ort bereit. Das können Hinweise auf die Beschaffenheit der Umgebung sein oder Informationen über ein für diesen Ort vorliegendes Gutachten. Die Eingabe der Informationen direkt an der geöffneten Baugrube erfolgt beispielsweise mithilfe von Ingrada Mobile, einer Geodaten-App, die an localexpert24 angebunden ist.

Lokales Expertenwissen verfügbar machen

„Auf lokaler Ebene kommt der Wissenssicherung beim Generationenwechsel von lokalen Experten eine große Bedeutung zu“, sagt Becker. Denn nicht selten gehe Tiefbauwissen verloren, wenn Mitarbeitende von Stadtverwaltungen, Stadtwerken oder Bauhöfen in den Ruhestand gehen. „localexpert24 vererbt Expertenwissen quasi an die folgenden Generationen weiter.“

Markus Becker,
Gesellschafter der Berthold Becker GmbH, Gründer von localexpert24 und Initiator
der DIN SPEC 91419.


Doch das funktioniert nur, wenn die bereitgestellten Informationen einer klaren Struktur entsprechen. Das war Becker schnell klar und aus diesem Grund hat er gemeinsam mit DIN ein Konsortium ins Leben gerufen, mit dem Ziel, einen Standard für die Erfassung und die Dokumentation unterirdischer Grunddaten zu schaffen. Gemeinsam mit zwölf weiteren Stake­holdern aus der Bauindustrie, aus Forschung und Wissenschaft und aus dem Verbandsleben hat Becker die DIN SPEC 91419 entwickelt, ein Standardformat für die Dokumentation und den Austausch von Grunddaten zu unterirdischen Situationen im Bauwesen. „Damit haben wir die Anforderungen an Infrastrukturdaten im Tiefbau festgelegt und Grundlagen für einen funktionierenden Erfahrungsaustausch auf digitalen Plattformen wie localexpert24 geschaffen.“

„Zukunftsfähige Infrastruktur entsteht, wenn wir lokales Wissen sichern und teilen.“

Die DIN SPEC 91419 leistet zudem einen wichtigen Beitrag, um die Qualität von BIM-Modellen zu verbessern. Die bisher üblichen 2D-Pläne für unterirdische Infrastrukturen sind häufig unvollständig und nicht genau genug. Die standardisierten Tiefbaudaten können in die präzisen 3D-Modelle einfließen und so Bauprojekte im Untergrund erleichtern. Becker ist sich sicher: „Zukunftsfähige Infrastruktur wird nur geschaffen, wenn wir das persönliche lokale Wissen von Tiefbauakteuren nicht mehr verlieren, sondern langfristig sichern und teilen. Damit setzen wir ein helles Licht vor die Baggerschaufel und machen Tiefbauprojekte reibungsärmer, wirtschaftlicher und ressourcenschonender.“

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DIN SPEC 91419 – Licht in der Finsternis

Erfahrungen aus dem Untergrund teilen, Wissen bereitstellen, sich austauschen. DIN SPEC 91419 definiert, wie der Erfahrungsaustausch auch mit Mehrwert für alle Nutzenden verbunden ist. Das Standardformat gibt vor, welche Daten  über den Informationsgeber und über den Ort notwendig  sind und wie der Inhalt strukturiert sein soll. Und es berücksichtigt datenschutzrechtliche Anforderungen, indem es sicherstellt, dass personenbezogene Angaben als solche gekennzeichnet werden können.

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