Gebäuderessourcenpass: Der Schlüssel zur Zirkularität im Bauwesen

Ihren Gebäuderessourcenpass, bitte!
Ausgabe
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Zwei Personen stehen in einem verlassenen Gebäude mit Graffiti an den Wänden
© Madaster

Zirkuläres Bauen ist vielversprechend: Ressourcen schonen und Abfälle vermeiden. Doch in welchen Gebäuden sind überhaupt wiederverwendbare Rohstoffe verbaut? Um welche Materialmengen geht es dabei? Und wie viel sind diese wert? Das junge Unternehmen Madaster liefert Antworten und treibt nachhaltiges Bauen auch in der Normung voran.

Die Baubranche verantwortet etwa 50 Prozent des Rohstoffverbrauchs in der Europäischen Union, zumeist noch primäre Rohstoffe. Auch mehr als 35 Prozent des Abfallaufkommens in der EU entfallen auf den Bausektor. Das heißt: Nachhaltiges Bauen ist ein zentraler Hebel, um Rohstoffe zu schonen und Abfall zu reduzieren. Ein vielversprechender Ansatz ist das „zirkuläre Bauen“ im Sinne einer Circular Economy: Rohstoffe im Kreis zu führen, indem sie wiederverwendet statt entsorgt werden.

Zwei Personen bei einer Bauinspektion in einem unfertigen Gebäude, die Möglichkeiten für nachhaltige Sanierung prüfen.

Patrick Bergmann (Managing Director Madaster) und Katrin Bahlo (International Product Manager Madaster) bei der Materialinspektion.

Die Bedeutung von Daten im zirkulären Bauen

„Eine vollständige Kreislaufwirtschaft funktioniert nur mit Daten. Genau da setzen wir an, denn unsere Grundidee ist es, langfristig Informationen von verbauten Bauteilen und Materialien zu speichern“, sagt Dr. Patrick Bergmann, Managing Director von Madaster in Deutschland. Das Unternehmen wurde 2017 in den Niederlanden von Architekt und „Klimapionier“ Thomas Rau gegründet. Der Name „Madaster“ ist ein Wortspiel aus „Materialien“ und „Kataster“. Das beschreibt recht gut, worauf die Expertinnen und Experten für zirkuläres Bauen bauen: auf eine Cloud-Plattform, die genau dokumentiert, in welchen Gebäuden welche Bauteile und Materialien stecken. Mit dem Ziel, dass sich diese in der Sanierung oder nach Abbruch wiederverwenden lassen.

Das digitale Kataster

„Madaster ist ein digitales Materialkataster, das in Deutschland derzeit rund 160 aktive Anwender* innen nutzen, Unternehmen, Kommunen oder Städte“, erklärt Patrick Bergmann. „Bis jetzt haben wir insgesamt 5.500 Gebäude auf unserer Plattform, davon etwa 1.600 in Deutschland.“ Sowohl Neubauten als auch Bestandsobjekte lassen sich in die Cloud-Lösung laden. 2018 hat die EU die Weiterentwicklung der Plattform mit 2,4 Millionen Euro gefördert. Heute ist Madaster mit knapp 60 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in mehreren Ländern aktiv, darunter Deutschland, Norwegen, die Schweiz, Österreich und Belgien, und hat den Deutschen Nachhaltigkeitspreis 2024 gewonnen.

Wer sein Gebäude über Madaster erfasst, kann vorhandene Daten aus BIM-Modellen, Leistungsverzeichnissen und Bauteilkatalogen importieren oder eine automatisierte Bestandserfassung nutzen. Die Plattform verknüpft die Daten aus den eigenen Modellen, Verzeichnissen oder Katalogen mit umfangreichen Datenbanken. Auf dieser Basis erstellt Madaster Berechnungen zum Gebäude. Anwender*innen erhalten so einen kompletten digitalen Überblick – beispielsweise über die Zirkularität und Trennbarkeit der verbauten Materialien, über gebundenes CO₂, den gesamten Umwelteinfluss des Gebäudes und über die Vermögenswerte, die sich hinter den verbauten Stoffen verbergen. Denn Gebäudeeigentümer*innen sind auch Rohstoffeigentümer* innen. Übrigens bestimmt jede Eigentümerin und jeder Eigentümer selbst, welche Daten des Gebäudes auf der Plattform geteilt werden dürfen. Über den Datenschutz wacht die unabhängige Madaster Foundation.

Sanierungsbedürftiger Plattenbau, der Potenzial für nachhaltige Renovierung und Ressourceneffizienz bietet.

Über die Cloud-Lösung von Madaster lassen sich die Materialströme eines Gebäudes nachvollziehen.

Auf dem Weg zur Kreislaufwirtschaft

„Mit den Daten kann man auf unserer Plattform einen digitalen Gebäuderessourcenpass erstellen und ist damit auf einem guten Weg, um künftige Anforderungen an eine Kreislaufwirtschaft zu erfüllen“, sagt Bergmann. Ein Gebäudepass dokumentiert alle Phasen im Lebenszyklus eines Bauwerks. Der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB e. V.) zufolge soll er die wesentlichen Informationen rund um die Ressourcennutzung, die Klimawirkung und die Kreislauffähigkeit des Gebäudes enthalten, um auf Basis dieser Infos den Aufbau von „urbanen Minen“ zu unterstützen und so zirkuläre Sanierungen, Neubauten sowie einen kreislaufgerechten Abbruch zu ermöglichen. Noch ist ein Gebäuderessourcenpass keine Pflicht, und es gibt bislang keine Norm dazu – im Koalitionsvertrag der Bundesregierung wurde dieser aber angekündigt. Interesse daran ist durchaus vorhanden: Die DGNB hatte im März 2023 einen Entwurf eines solchen Passes veröffentlicht. Dieser soll als Diskussionsgrundlage dafür dienen, welche Informationen ein standardisierter Gebäudepass enthalten könnte. 

Fürs zirkuläre Bauen begeistern

Normen und Standards spielen eine wichtige Rolle für Madaster. Patrick Bergmann bezeichnet sich selbst als großen Normungsfan: „Ich bin seit gut drei Jahren im Arbeitsausschuss ‚Nachhaltiges Bauen‘ im DIN-Normenausschuss Bauwesen aktiv. Ich möchte auch die klassische Bauindustrie für Themen wie zirkuläres Bauen begeistern. Grundsätzlich engagieren wir uns in der Normung, um neue Normen fürs zirkuläre Bauen auf den Weg zu bringen und um dafür nicht geeignete Normen entsprechend anzupassen oder zurückzuziehen. Wenn man etwas ändern will, muss man selbst aktiv werden.“ Über die Mitarbeit im europäischen Gremium CEN/TC 350 „Sustainability of construction works“ treibt der Geschäftsführer das Thema Gebäuderessourcenpass auf EU-Ebene voran. „Wir brauchen Normen für ein gemeinsames Verständnis des Gebäuderessourcenpasses – wie definiert sich dieser, welche Infos müssen drinstehen und so weiter.“ Die auf europäischer Ebene neu gegründete Arbeitsgruppe „Circular related information in construction works“ hat sich dieses Thema auf die Agenda geschrieben und ihre Arbeiten in diesem Sommer aufgenommen.

„Indem wir Bauteile und Materialien erfassen und dokumentieren, wird ersichtlich, wie diese immer wieder aufs Neue verwendet werden können.“

In den Ausschüssen, in denen Patrick Bergmann aktiv ist, wird auf dem Weg zur Konsensfindung auch über Grundsätzliches diskutiert: „Was bedeutet ,Reuse‘? Muss man dafür ein ganzes Bauteil wieder einsetzen beziehungsweise zu 100 Prozent recyceltes Material verwenden? Solche Fragen müssen beantwortet werden, damit alle am Kreislauf Beteiligten ein einheitliches Verständnis haben. Wir halten dies in Normen fest.“ Hilfreich fand er auch die Normungsroadmap Circular Economy: „Das war ein guter Ansatz, um zu schauen, wo es normungsseitig Änderungsbedarf gibt, um eine Kreislaufwirtschaft voranzutreiben. Da ist es gelungen, verschiedene Sichtweisen einzubringen“, sagt Bergmann.
550 Autorinnen und Autoren aus allen interessierten Kreisen hatten hierfür an insgesamt 221 Normungsbedarfen zu sieben Schwerpunktthemen gearbeitet. Der Bausektor war ein eigenes Schwerpunktthema mit 14 Bedarfen – auf DIN.One berichtet das DIN Circular Economy Team regelmäßig über neue Projekte in dem Bereich und den Umsetzungsstand der Bedarfe. 

„Die Erde ist ein geschlossenes System, in dem Ressourcen nur begrenzt verfügbar sind.“

Zukunftsprojekte für eine nachhaltige Bauwirtschaft

Madaster ist weiterhin auf Wachstumskurs, so wird sich die Zahl der in der Cloud erfassten Gebäude demnächst mehr als verdoppeln – über zwei Banken kommen rund 7.000 Objekte hinzu. Sich weiter international auszurichten, ergibt Sinn für das Unternehmen, denn Stoffströme gehen ebenfalls über Ländergrenzen hinweg. Hinzu kommen regelmäßig regionale Projekte, beispielsweise arbeitet das Team aktuell an einem Forschungsprojekt anlässlich des Strategiedialogs „Bezahlbares Wohnen und innovatives Bauen“ des Bundeslandes Baden-Württemberg: Auf Basis einer Hochrechnung erstellt Madaster eine Übersicht der Materialzusammensetzung der Gebäude für das gesamte Landesgebiet. Anhand dieser Methode lassen sich ganze Städte und Regionen abbilden – ein erster Schritt, um Materialströme für eine Kreislaufwirtschaft zu erfassen.

Modernes Bürogebäude mit nachhaltiger Architektur in einer Stadtumgebung, Beispiel für zirkuläres Bauen.

PRAXISBEISPIEL:
„B-ONE“, BERLIN HYP AG

  • Eigentümer: Berlin Hyp AG
  • Neubau
  • Größter Gebäudekomplex aus Holz- Hybrid in Deutschland und einer der größten in Europa
  • Gebäude wiegt 30 Prozent weniger als eine herkömmliche Betonkonstruktion
  • Baujahr: 2024
  • Grundfläche: 20.000 Quadratmeter
  • Ausgestattet mit einem Gebäuderessourcenpass auf Madaster
Normungsroadmap Circular Economy
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