Circular Economy
Ausgabe
16 min

Inhaltsverzeichnis

01 - Der Kreis ist stärker als die Gerade

Linearwirtschaft kennt nur Einweg – vom Rohstoff über das Produkt bis zum Abfall. Circular Economy kommt im Idealfall ohne Ressourcenverbrauch aus. Eine Utopie, die besser zur Realität wird.

Sie hinterlassen Spuren. Unübersehbare Spuren. Sie kaufen jedes Jahr 37 Kilo Plastik, benutzen 24 Plastiktüten und nuckeln täglich an einem Plastikstrohhalm. Sie telefonieren mit einem Smartphone und lagern zwei alte in einer Schublade. Sie besitzen rund hundert Kleidungsstücke, von denen Sie die Hälfte nur ein- bis zweimal im Jahr tragen. Sie verbrauchen jede Woche einen Coffee to go-Becher und jeden Monat zwei Einwegrasierer. Und nicht zuletzt haben Sie 2019 ganze 455 kg Rohstoffe in den Mülleimer geworfen – also zumindest, wenn Sie Mustermann heißen.

02 - Die Erde ist eine Scheibe

Sie sind in guter Gesellschaft. Einer der größten Abfallproduzenten hierzulande ist der deutsche Wald. Auf knapp zwölf Millionen Hektar produzieren Eichen und Buchen jede Saison aufs Neue hoch spezialisierte Bauelemente für die Fotosynthese, den Nährstofftransport, für Kommunikation und Verteidigung. Diese komplexen Komponenten werden allerdings nur wenige Monate genutzt und dann einfach weg- beziehungsweise abgeworfen. In Summe macht das rund 56 Millionen Tonnen Laub, das jeden Herbst ausgemustert wird. Das entspricht ziemlich genau der Abfallmenge, die als Folge industrieller Prozesse hinter Werkstoren anfällt. Fast genauso viel Abfall verursachen noch einmal die privaten Verbraucher, welche rund 52 Millionen Tonnen in die Tonne drücken.

Die Circular Economy will ohne kontinuierlichen Verbrauch von Rohstoffen auskommen.

Wald, Industrie und private Haushalte verbrauchen damit de facto Rohstoffe in vergleichbaren Größenordnungen. Der feine Unterschied: Im Wald funktioniert das schon seit einigen Millionen Jahren ohne Probleme. Wir Menschen kommen dagegen schon nach gut hundert Jahren Industriegeschichte an unsere Grenzen. Besser gesagt: an die Grenzen des Gesamtsystems. Rohstoffe werden teurer, Müllberge wachsen ins Bodenlose, Risiken und Nebenwirkungen gestalten sich zunehmend unbeherrschbar. Was macht die Waldfabrik anders – und offensichtlich besser? Die Antwort ist einfach: Bäume setzen im Gegensatz zum Menschen das Prinzip der zirkulären Wirtschaft perfekt um. Im Herbst jeden Jahres holt sich der Baum zuerst einmal die wertvollsten Inhaltsstoffe wie Chlorophyll und Zucker zurück und lagert sie ein. In Folge welkt das Blatt und fällt zu Boden. Hier dient es jetzt als Nahrung; die ersten Recyclingspezialisten wie Käfer und Schnecken beginnen mit der mechanischen Aufbereitung. Schwer verdauliche Bestandteile werden in späteren Prozessschritten chemisch abgebaut – zum Beispiel in den Zellen von Pilzen und Bakterien. Den Humus, den alle zusammen erzeugen, lagern die Recycler in Wurzelnähe ab, wo die Primärrohstoffe wieder in den Kreislauf aufgenommen werden.

Ein handelsübliches T-Shirt
ist 150 Gramm schwer und
besteht aus Baumwolle.

Ein T-Shirt wird heute
nur noch halb so lange
getragen wie vor 15 Jahren.

Ungefähr ein Jahr brauchen
Bakterienkulturen, um aus
Baumwolle Humus zu machen.

Zerbissen, gefressen,
ausgeschieden:
bereit für den Aufbau
einer neuen Pflanze

Die einzelnen Fasern der
Baumwollpflanze sind
schon nach 25 Tagen reif.

6.300 Liter Wasser und über
drei Kilogramm Treibhausgas
verursacht ein T-Shirt in der
Linearwirtschaft

Darstellung in Anlehnung an Cradle to Cradle NGO

Damit wären schon die Grundzüge der Circular Economy umrissen: Sie basiert auf einer konsequent regenerativen Produktions-, Liefer- und Handelskette, die ohne den kontinuierlichen Verbrauch von Rohstoffen auskommt. Alle Materialien, Teile und Produkte werden ohne Qualitätsverlust in unterschiedlichen Prozessstufen aufgearbeitet und in wiederkehrenden Zyklen erneut und in gleichbleibender Qualität eingesetzt. Ein Kreislauf ersetzt das lineare Prinzip: Rohstoff-Produktion-Nutzung-Mülleimer.

Mist ist Gold

Das Prinzip ist überzeugend – warum nur hat es sich nicht auch im menschlichen Umfeld durchgesetzt? Die Antworten sind einfach: Wirtschaftlichkeit und Bequemlichkeit. Seit der ersten industriellen Revolution bis zur heutigen Industrie 4.0 sanken durch den Einsatz von Maschinen und immer ausgefeilteren Workflows die Produktionskosten auf ein überschaubares Minimum. Wegwerfen ist heute zumeist billiger als aufbereiten, Neues begehrenswerter als Altbewährtes. Modetrends und innovative Produktfeatures befeuern die Wegwerfgesellschaft. Aber nicht nur: Eine rasant wachsende Weltbevölkerung nagt ebenfalls an den Ressourcen des Planeten. Und das im wahrsten Sinne des Wortes: Mehr als ein Drittel der Erdoberfläche dient derzeit der Landwirtschaft und wird überwiegend von Großbetrieben zur Produktion von Fleisch, Sojabohnen und Palmöl bewirtschaftet. Deshalb ist es wichtig, für die Zukunft eine globale Perspektive einzunehmen. Wir müssen handeln. Nur wie?

03 - Entwarnung?

Zwischen Aktionismus und Lethargie: Die Reaktionen auf den Wandel von Wirtschaft, Ressourcen und Klima fielen und fallen höchst unterschiedlich aus. Schon 1798 rechnete der damals bekannte Forscher Robert Malthus vor, dass die englische Bevölkerung exponentiell, die Landwirtschaft aber nur arithmetisch wächst, was zwangsläufig zum raschen Weltuntergang führen muss – zumindest was die Spezies Homo sapiens betrifft. Knapp 200 Jahre später war im renommierten Magazin Life (in der Ausgabe vom Januar 1970) zu lesen, dass Wissenschaftler „solide experimentelle und theoretische Beweise dafür haben, dass in einem Jahrzehnt Stadtbewohner Gasmasken werden tragen müssen, um die Luftverschmutzung zu überleben. Zwei Jahre später prognostizierte der Club of Rome die Grenzen des Wachstums und warnte vor fehlenden Ressourcen und explodierenden Rohstoff- und Energiekosten. Wie wir wissen, sollten diese Propheten nicht recht behalten, die Apokalypse fand (noch) nicht statt. Der Erdölpreis bewegt sich seit Jahren in einem weltwirtschafts-kompatiblen Korridor, die globalen Ressourcen an Edelmetallen oder seltenen Erden reichen allesamt bis weit ins nächste Jahrhundert. Tendenz steigend. Mehr noch: Die EU hat in den letzten 30 Jahren den Ausstoß von Treibhausgasen um fast ein Viertel gesenkt. Vor 30 Jahren war das Baden in Flüssen und Seen aus Gesundheitsgründen vielerorts verboten, heutzutage bieten 85 % der europäischen Badeseen laut EU-Jahresbericht ausgezeichnete Wasserqualität. Die Zahl der Eisbären hat in den vergangenen 50 Jahren wieder zugenommen, der Jakobshavn-Gletscher auf Grönland wächst seit 2019 wieder. Also Entwarnung an der Klima- und Wirtschaftsfront?

Aufgeschoben ist nicht überlebt

Mitnichten. Robert Malthus und alle folgenden Untergangspropheten lagen nur deshalb falsch, weil sie die menschliche Einsicht und die Erfindungsgabe im Zuge überfälliger Wandelprozesse unterschätzt haben. Im Fall der altenglischen Landwirtschaft war es Guano-Dünger, der die Erträge schlagartig verbesserte. Und was der Club of Rome nicht auf dem Computerschirm hatte: Werden Rohstoffe knapp, lohnen alternative Abbauverfahren und -orte, was die Ressourcen automatisch wieder erhöht. Deshalb sollten wir nicht einzelnen Kassandra-Rufern folgen – sie aber in Summe ernst nehmen. Denn ihre Zahlen weisen alle in eine Richtung: Wir stehen in jedem Fall vor neuen Herausforderungen, die einmal mehr grundlegende Wandel-Strategien erfordern. Aktuell bedroht uns nicht Ressourcenknappheit, sondern vielmehr die Folgen der zunehmenden Verarbeitung von Rohstoffen, die sich auf Klima, Umwelt und Gesundheit aller Lebewesen auswirken.

Diesen Herausforderungen werden wir nicht durch noch mehr Mülltrennung oder den Verzicht auf Plastikstrohhalme gerecht. Und schon gar nicht durch kurzfristige Aktionsprogramme in Serie, die sich oft genug gegenseitig konterkarieren. Es wird Zeit für einen ganzheitlich neuen Ansatz: für Circular Economy. Die gute Nachricht: Wir werden auf absehbare Zeit überleben. Die schlechte: Wir müssen etwas dafür tun – wie seit Anfang der Menschheit.

Glossar


Ökologie

Lehre von der Wechselbeziehung zwischen lebenden Organismen und ihrer Umgebung.

Zirkuläre Wirtschaft, bzw. Circular Economy
Circular Economy ist ein systematischer Ansatz zur wirtschaftlichen Entwicklung, der Unternehmen, der Gesellschaft und der Umwelt zugutekommt. Im Gegensatz zum linearen Modell „take-make-waste“ ist Circular Economy von Ansatz her regenerativ und zielt darauf ab, das Wachstum schrittweise vom Verbrauch endlicher Ressourcen zu entkoppeln.

Recycling
Aufbereitung von Abfall, um diesen für den ursprünglichen Zweck wiederherzustellen oder für andere Zwecke mit Ausnahme der Energierückgewinnung.

Nachhaltigkeit
Zustand, in dem Teile des Ökosystems und ihre Funktionen für die heutigen und zukünftigen Generationen erhalten bleiben.

04 - Es geht nicht ohne Sie

Ändert sich das weltweite Verbraucherverhalten nicht, wird 2050 mehr Plastik in den Meeren schwimmen als Fische – prognostiziert der Bericht „The New Plastics Economy“ der Ellen MacArthur Foundation. Die globale Recyclingquote für Kunststoffe pendelt in den letzten Jahren zwischen 15 und 18 Prozent, in Deutschland finden nur sechs Prozent Recyclat den Weg in die Spritzgussmaschinen. Bei den heutigen Ölpreisen ist es günstiger und vor allem unproblematischer, neues Rohmaterial aus Petroleum zu gewinnen.

Und doch gibt es drei Treiber, die eine Umkehr vorbereiten: Erstens erfreuen sich nachhaltige Geschäftsmodelle steigender Beliebtheit. Mit höheren Umsätzen interessieren sich zunehmend auch industrielle Anbieter für ökologische Konzepte. Eigentlich Widersprüche in sich: Internationale Supermarktketten verkaufen regionale Produkte und Automarken denken über Mobilitätskonzepte jenseits von Privatfahrzeugen nach. Die zunehmende Digitalisierung unterstützt sie dabei und überwindet Unternehmens- und Landesgrenzen. Zweitens macht die Politik ordentlich Druck. Europa beispielsweise soll bis 2050 der erste klimaneutrale Kontinent werden – vor allem auf Basis einer Energiewende und immer strengeren Vorgaben für Verkehr und Logistik. Und drittens ist das Bewusstsein bei vielen Konsumenten inzwischen reif für den Wechsel von der linearen Wirtschaft zum zirkulären Modell. Aber wie funktioniert diese?

Früher fast eine Anschaffung
fürs Leben - die Waschmaschine.

8% aller Haushaltsgroßgeräte
fallen wegen eines Defekts
innerhalb von fünf Jahren aus.

Seit 2016 müssen stationäre und
Online-Händler beim Neukauf
Elektroaltgeräte zurücknehmen.

Möglichst in alle Einzelteile
wird die Maschine zerlegt.

Im Schnitt besteht eine Maschine
aus Stahl, Glas, Kunststoff, Edel-
metallen und bis zu 50 kg Beton
für einen festen Stand.

Europaweit kommen die
meisten Maschinen aus Polen,
Weltmarktführer ist China.

Ein Kreis besteht aus vielen Punkten

Zirkuläre Wirtschaft ist ein komplexes System, das die Mitarbeit aller Beteiligten erfordert: vom Produktdesign über die Fertigung bis zum Gebrauch und der Entsorgung. Der Konsument entscheidet letztlich über den Erfolg des Systems. Dabei hat er mehrere Möglichkeiten:

Richtig kaufen

Apps wie CodeCheck, Siegel wie Demeter oder Bioland und nicht zuletzt eine nahezu unbegrenzte Informationsflut via Web lassen Verbraucher wissen, was sie wissen wollen. Und welches Wirtschaftsmodell sie unterstützen möchten.

Gemeinsam kaufen

Share Economy ist ein Schritt in Richtung Circular Economy. Eine Bohrmaschine wird im Durchschnitt nur 13 Minuten genutzt, bevor sie in den Müll wandert. Teilen sich vier Nachbarn eine, steigt die Einsatzzeit immerhin auf fast eine Stunde. In der Schweiz gibt es gerade auch in neugebauten Mehrfamilienhäusern wieder Gemeinschaftswaschküchen, in der sich mehrere Parteien Maschinen und Leinen teilen.

Nutzen statt besitzen

Maschinen, Fahrzeuge, Autos – das geht auch „as a Service“. Was sich im Softwarebereich bereits durchgesetzt hat, lässt sich auch auf Dinge und Dienstleistungen übertragen. Der Vorteil: Der Hersteller ist für den umweltfreundlichen Betrieb und Modellpflege zuständig. Der Nutzer zahlt nur für die Leistung, die er tatsächlich in Anspruch nimmt, z. B. Waschleistung anstelle einer Waschmaschine.

Länger benutzen

Wer billig kauft, kauft zweimal. Das T-Shirt vom Discounter übersteht nur wenige Wäschen, hochwertige Ware zeichnet sich in aller Regel durch eine höhere Haltbarkeit aus – und kann in Zeiten von eBay und Co bei einem neuen Besitzer ein zweites Leben beginnen – auch das schont Ressourcen und Umwelt.

Reparieren statt kaufen

Der Toaster ist nicht kaputt. Kaputt ist nur die 0,4 cm2 große Kontaktfläche des Einschalters, welche im Handumdrehen ausgetauscht werden kann – sofern das der Hersteller nicht durch unlösbare Schrauben verhindert hat. Wie schon erwähnt: Circular Economy erfordert das Verständnis und Engagement aller Beteiligten.

05 - Verbraucher haben die Macht, Unternehmen die Möglichkeiten

Nachhaltiges Handeln ist nicht zwangsläufig mit Verzicht und Regression verbunden. Ganz im Gegenteil: Die Europäische Kommission schätzt, dass Circular Economy-Strategien in den nächsten zehn Jahren Ersparnisse von 600 Milliarden Euro sowie zwei Millionen neue Jobs ermöglichen. Manche Experten wie die Berater der Ellen MacArthur Foundation erwarten sogar 630 Milliarden Euro schon bis 2025. Auch wenn kein Konsens über die Summe besteht, sind sich doch alle einig: Circular Economy ist eine ebenso große Herausforderung wie auch Chance für Gesellschaft und Unternehmen.

Der Konsument entscheidet letzlich über den Erfolg der Circular Economy.

Die ersten industriellen Pilotprojekte drehen inzwischen ihre Kreise. So möchte Adidas 2021 einen Turnschuh mit ei­ge­ner Kreislaufwirtschaft vorstellen. Die Herzogenauracher wollen auf­ge­tra­ge­ne Schu­he ein­sam­meln und im­mer wie­der zu neu­en Schu­hen ver­ar­bei­ten, was unter dem Strich den Materialeinsatz reduzieren soll. Daimler analysiert bereits seit Jahren den Produktlebenszyklus von Fahrzeugen und schreibt in Lastenheften wachsende Recyclat-Quoten vor. Und Trigema bietet kompostierbare Kleidung wie T-Shirts, Hosen oder Baby-Lätzchen nach dem Cradle-to-Cradle-Prinzip an: Nach der Nutzung ist vor der Nutzung.
Diese Beispiele belegen aber auch, dass Kreislaufsysteme (noch) erheblich teurer sind als herkömmliche Produktionsstrukturen und aktuell bestenfalls als Insellösungen funktionieren beziehungsweise als Vorzeigeprojekte fungieren. Das wird sich mit zunehmender Akzeptanz und steigenden Kosten für Ressourcen und Umweltschutzauflagen ändern. Die Unternehmen tun allerdings gut daran, nicht nur auf Druck von außen zu reagieren. Neben der Unabhängigkeit von volatilen Rohstoffmärkten können sie vor allem auch eine profilierende Wettbewerbsstellung gewinnen.

Was Unternehmer unternehmen können

Zentrales Element ist und bleibt das Produkt. Schon in der ersten Planungsphase muss das Produktdesign von Anfang an auf nachhaltige Kreisläufe ausgerichtet werden. Das bedeutet konkret den Verzicht auf (nicht wirtschaftlich recycelbare) Verbundwerkstoffe, sowie den Einsatz hochwertiger Materialien und Produktionsverfahren, um die Lebensdauer des Gutes zu verlängern. Im einfachsten Fall wäre das ein T-Shirt aus ökologischer Baumwolle und ohne künstliche Farbstoffe, welches nach Gebrauch kompostiert und anschließend als Dünger für Baumwollpflanzen verwendet wird. Komplexer kommt da beispielsweise ein Fahrzeug, bei dem viele Komponenten aufbereitet und wiederverwendet werden können – vom Akku bis zum Tacho. Das bedingt aber, dass die folgende Fahrzeuggeneration auch offen ist für solche Komponenten. Nur was wirklich verschlissen ist, wandert in die stoffliche Wiederverwertung.
„Open Source Hardware“ legt ähnlich wie im Softwarebereich Konstruktion und Reparaturmöglichkeiten offen, um Dritten den Zugang in zirkuläre Wirtschaft zu erleichtern. Das können zum Beispiel freie Werkstätten sein, die sich auf die Reparatur von Geräten, Maschinen und Fahrzeugen konzentrieren. Oder Anbieter, welche die Akkus aus Elektrofahrzeugen aufbereiten und als Speicherelemente weiterverkaufen.
Auf diese Weise kommen zum Beispiel alte Autoreifen als neue Schuhsohlen wieder auf die Straße. Solche Kreisläufe bedingen einen vorausschauend geplanten Ressourceneinsatz, der alle weiteren Verwendungsmöglichkeiten von Anfang an berücksichtigt.

Noch funktionieren Kreislaufsysteme aktuell bestenfalls als Insellösungen oder Vorzeigeprojekte

Remanufactoring ist ein weiteres Instrument der Circular Economy – die Aufbereitung eines Flugzeuges oder Fahrzeuges, eines Kühlschranks oder eines Handys. Dabei werden nur veraltete Funktionseinheiten ausgetauscht, das Äußere poliert und das Produkt wiederverkauft. Denkt man diesen Ansatz weiter, verändert sich auch das Geschäftsmodell des Herstellers, der zum lebenslangen Systemlieferanten wird. Der Wäschetrockner bleibt in seinem Besitz, der Nutzer kauft quasi trockene Luft, hat aber jederzeit die Möglichkeit, defekte oder veraltete Modelle auszutauschen.

06 - Politik und Planet B

Bislang sind globales Wirtschaftswachstum und Ressourcenverbrauch eng gekoppelt. Dabei entnimmt der Mensch aktuell mehr, als die Natur wiederherstellen kann. 2019 war der sogenannte Erdüberlastungstag am 29. Juli fällig. An diesem Tag hat die Menschheit die natürlichen Ressourcen der Erde für ein Jahr rechnerisch aufgebraucht. 1970 fiel er noch auf den 29. Dezember. Nur auf Deutschland bezogen, war der Trauertag schon am 3. Mai fällig. Wir leben und wirtschaften im Moment, als hätten wir mehr als zwei Erden zur Verfügung. Das kann langfristig nicht gut gehen. Zumal der Verbrauch der endlichen Ressourcen untrennbar mit – sagen wir einmal „Turbulenzen“ – für Umwelt, Klima und Menschen verbunden ist.

Alle Beteiligten müssen den Markt auf Basis einheitlicher Standards und Vorgaben regeln.

Der Übergang zur Circular Economy kostet Zeit, Geld und Geduld. Damit die neuen Geschäftsmodelle funktionieren, müssen zuerst einmal entsprechende Logistikstrukturen aufgebaut werden – zum Beispiel, um alte Geräte abholen und ersetzen zu können. Dazu kommt das Marketing für die Bekanntmachung der angebotenen Produkte und Services. Und nicht zuletzt muss sich der Verbraucher auf die neuen Kreisläufe einlassen – mithin seine Gewohnheiten und Prioritäten ändern. Circular Economy braucht deshalb auch weitsichtige Manager, die den Mut für Investitionen aufbringen, die sich vielleicht erst mittel- oder langfristig auszahlen. Es ist die Aufgabe von Politik, Forschung und Gesellschaft, für diese Unternehmer einen wirtschaftlich attraktiven Rahmen zu schaffen. Erfahrungsgemäß wird der Kreislauf aus geringem Angebot und daraus resultierend aus geringer Nachfrage erst dann durchbrochen, wenn gewinnbringende Mengen an Rohstoff zur Verfügung stehen und die Politik Anreize schafft bzw. sogar Quoten vorgibt. Das funktioniert, wie das Beispiel Altglas belegt: Erst 1974 wurden in Deutschland flächendeckend Sammelcontainer eingeführt. Seither schnellte die „Behälterglasverwertung“ auf aktuell 87 Prozent hoch. Die Verpackungsverordnung fordert 75 Prozent – nur wenige gesetzliche Quoten werden so deutlich übertroffen.

Vom Bergmann zum Müllmann

Die Branche zeigt aber auch, wie wichtig das Zusammenspiel aller Marktteilnehmer ist. Der Verbraucher sollte leere Flaschen möglichst sortenrein einwerfen – schon ein einziges bleihaltiges Kristallglas kann die nachfolgenden Prozesse beeinträchtigen. Die Industrie muss komplexe Logistikstrukturen aufbauen, die Forschung geeignete Recycling-Verfahren entwickeln. Flaschenhersteller wiederum müssen sich auf die Verwendung von Altglasscherben vorbereiten. Das bedeutet: Schwankungen beim Materialeingang ausgleichen – ein Horrorszenario für jeden Produktionsleiter. Wie eigensinnig der Markt auf einzelne Parameter reagiert, zeigt die Einführung des Glaspfandes. Pfand sollte eigentlich die Recyclingquote erhöhen, die Hersteller wichen aber von Einwegflaschen auf billigere PET-Behälter aus. Im Discounter ist das Bier deshalb jetzt in Plastik gefasst, die Altglasmenge sank, Recyclinganlagen sind nicht mehr ausgelastet. Auch der Einsatz von Plastiketiketten erschwert das Recycling. Papier zerfällt bei der Aufbereitung, farbenfrohe Folie nicht.

Wo steht das, bitte?

Wo viele Schnittstellen aufeinanderprallen, müssen Wirtschaft, Wissenschaft, öffentliche Hand und Verbraucher auf Basis einheitlicher Vorgaben und Standards den Markt regeln, sonst finden die einzelnen Teile des Kreises nicht zusammen. Einen ersten Versuch startete die Europäische Kommission 2015 mit dem Projekt „Den Kreislauf schließen – Ein Aktionsplan der EU für die Circular Economy“. 650 Millionen Euro ergossen sich über die Schwerpunkte Klimaschutz, Umwelt, Ressourceneffizienz und Rohstoffe – mit eher mäßigen Erfolgen. Als Gründe wurden in der Nachschau vor allem fehlende Kennzahlen, Quoten und Regelungen ausgemacht. Mit anderen Worten: Verbindlichkeit.

Einweg-Plastikflaschen haben
bei Getränken einen Gesamt-
anteil von rund 52 %.

In Deutschland werden
stündlich 1,9 Millionen
Einweg-Plastikflaschen
verbraucht.

Nach der Rückgabe werden die
Flaschen sortiert und die einzelnen
Kunststoffe als Rezyklate separiert.

Kunststoffe können
stofflich oder biologisch
wiederverwendet werden.

85 % des Altglases werden zu
neuen Flaschen, aber nur knapp
20% der Kunststoffe finden
derzeit zurück.

Dabei spielen Normen und Standards eine zentrale Rolle. Sie tragen dazu bei, Terminologie und Schnittstellen zu vereinheitlichen. Damit wird ein transparenter Informationsaustausch zwischen den verschiedenen Marktakteuren sichergestellt, z. B. durch Anforderungen an recyclingfähige Produkte sowie die eindeutige Materialklassifizierung für Hersteller und Recycler. Normen und Standards sind darüber hinaus auch die Voraussetzung für eine breite gesellschaftliche Akzeptanz von zirkulären Produkten. Und diese Akzeptanz bildet wiederum den Grundstein für erfolgreiche zirkuläre Angebote.
Aktuell wird genau hier nachjustiert: Bis 2050 soll Europa klimaneutral werden, bis 2030 schon einmal 50 Prozent CO2 eingespart werden (im Vergleich zu 1990). Bis 2025 sollen europaweit eine Million Ladestationen für E-Autos errichtet werden, der Emissionshandel auch für die Schifffahrtsbranche gelten und eine Kerosinsteuer den Flugverkehr eindämmen. Das sind viele „Solls“ – die Politik ringt noch mit Ländern, Verbänden und NGOs. Über die möglichen Konsequenzen spekuliert indes der VDMA, der Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau in Zusammenarbeit mit dem Fraunhofer Institut ISI. Die Studie „Circular Economy 4.0“ entwirft vier verschiedene Zukunftsbilder.

Im pessimistischen Szenario „Dinosaurier-Denken“ kommt das Thema Circular Economy weder in Gesellschaft, noch in der Politik oder in den Märkten an. Die Studie prognostiziert in diesem Fall auf lange Sicht Energie- und Rohstoffknappheit. Dessen ungeachtet werden viele Player am Markt Teilbereiche bedienen und dies als Allheilmittel anbieten. Das alles verdeckt laut den Autoren aber nur den Blick auf lediglich aufgeschobene Probleme, die zwar verzögert, aber zwangsläufig auf den Menschen zukommen.

Dagegen beschreibt das positive Szenario „Ökonomie und Ökologie Hand in Hand“ den Weg zur Circular Economy. Notwendige Bausteine dafür sehen die Autoren in omnipräsenten Kooperationen entlang der Supply Chain, dem Einsatz Künstlicher Intelligenz für Industrie 4.0-basierte Produktions- und Recyclingverfahren – und nicht zuletzt die gezielte Forderung der Verbraucher nach kreislauffähigen Produkten, die den Ressourcenverbrauch gegen null bringen. Zwischen Dinosauriern und einer ökologisch sauberen Zukunft sehen die Verfasser zwei weitere Möglichkeiten: Beim „Staatliche Impulse“-Szenario wird die Circular Economy vor allem durch staatlich initiierte Rahmenbedingungen gefördert. Im Zukunftsentwurf „Gesellschaft macht Druck“ wird die Circular Economy von der Nachfrageseite eingefordert – zum Beispiel durch die Forderung nach modularisierten und recyclingfähigen Produkten. Der Staat reagiert in diesem Falle nur zögerlich.

Die Wahrheit liegt wohl in der Mitte aller vier Kreise.

07 - Ein Kreis besteht aus vielen Punkten

Während Politiker noch über Visionen und Zielvorgaben theoretisieren, sind die Marktakteure schon zwei Schritte weiter und arbeiten auf Praxisebene an gemeinsamen Normen und Standards: zum Beispiel an einheitlichen Formulierungen und standardisierten Schnittstellen. Diese Akteure kommen von unterschiedlichsten Ebenen: aus Unternehmen und der Politik, aus der Wissenschaft und Forschung und aus Verbraucherverbänden. DIN übernimmt dabei eine moderierende Funktion und unterstützt transparente Kommunikationsstrukturen zwischen den verschiedenen Kreispunkten und ermöglichen so reibungslose Kreisläufe.
Um die nationalen Initiativen zum zirkulären Wirtschaften auch auf europäischer Ebene einzubringen, vertritt DIN diese auch im Rahmen internationaler Normungsgremien bei CEN und ISO. Die Bandbreite reicht dabei von der DIN EN 45552 (Allgemeines Verfahren zur Bewertung der Lebensdauer energieverbrauchsrelevanter Produkte) über die DIN EN 45555 (Allgemeines Verfahren zur Bewertung der Recyclingfähigkeit und Wiederverwertbarkeit energieverbrauchsrelevanter Produkte) bis hin zur DIN EN 45558, (Allgemeines Verfahren zur Deklaration der Verwendung kritischer Rohstoffe in energieverbrauchsrelevanten Produkten).
Das Thema Circular Economy wird bereits in unterschiedlichen Arbeitskreisen unter Moderation von DIN diskutiert. Übergeordnetes Gremium ist dabei der Arbeitskreis NA 172-00-14-01 AK “Circular Economy” des DIN-Normenausschusses Grundlagen des Umweltschutzes (NAGUS). Er befasst sich unter anderem mit unterschiedlichen Geschäftsmodell- und Terminologienormen. Das Gremium wirkt darüber hinaus als deutscher Spiegelausschuss des internationalen Technischen Komitees ISO/TC 323. Der Arbeitskreis dient der Meinungsbildung und Normendefinition auf nationaler und als Spiegelgremium auch auf internationaler Ebene. Interessierte sind herzlich eingeladen, sich beim Thema Circular Economy bei DIN einzubringen. Ihr Ansprechpartner bei DIN ist Benjamin Hein.

6 Monate lang erzeugen Blätter
Zucker, verdunsten Wasser und
kontrollieren den Gasaustausch.

Im Herbst wandern Nährstoffe
zurück in den Baum, übrig bleibt
Carotin - und damit braune,
herabfallende Blätter.

Nach der Rückgabe werden die
Flaschen sortiert und die einzelnen
Kunststoffe als Rezyklate separiert.

Kunststoffe können
stofflich oder biologisch
wiederverwendet werden.

85 % des Altglases werden zu
neuen Flaschen, aber nur knapp
20% der Kunststoffe finden
derzeit zurück.

Dagegen beschreibt das positive Szenario „Ökonomie und Ökologie Hand in Hand“ den Weg zur Circular Economy. Notwendige Bausteine dafür sehen die Autoren in omnipräsenten Kooperationen entlang der Supply Chain, dem Einsatz Künstlicher Intelligenz für Industrie 4.0-basierte Produktions- und Recyclingverfahren – und nicht zuletzt die gezielte Forderung der Verbraucher nach kreislauffähigen Produkten, die den Ressourcenverbrauch gegen null bringen. Zwischen Dinosauriern und einer ökologisch sauberen Zukunft sehen die Verfasser zwei weitere Möglichkeiten: Beim „Staatliche Impulse“-Szenario wird die Circular Economy vor allem durch staatlich initiierte Rahmenbedingungen gefördert. Im Zukunftsentwurf „Gesellschaft macht Druck“ wird die Circular Economy von der Nachfrageseite eingefordert – zum Beispiel durch die Forderung nach modularisierten und recyclingfähigen Produkten. Der Staat reagiert in diesem Falle nur zögerlich.

Grüne Gründer

Die DIN SPEC 90051 bewertet die Nachhaltigkeit von Startups. Mit diesem Standard können junge Unternehmen ihr Nachhaltigkeitspotenzial bewerten. Ein Normenbuch für alle Akteure im Gründerökosystem. So wie Leaf Republic. Das Start-up hat es 2018 bis ins Finale von „Das Ding des Jahres“ geschafft. Die Idee: Einweggeschirr aus Laub. Womit sich der Kreis schließt. Zumindest auf dieser Seite.

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